Der verführerische Charme des Islam

3.6.2018, 12:21 Uhr
Der verführerische Charme des Islam

© Foto: rbb/NFP/Christine Schroeder

Frankreich im Jahr 2022. In der Stichwahl ums Präsidentenamt treten Marie Le Pen und der charismatische Politiker Mohamed Ben Abbes an. Die bürgerlichen und linken Parteien empfehlen, dem muslimischen Vertreter die Stimme zu geben. Nach dessen Sieg wandelt sich das Land von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" grundlegend. Die Männer haben in dieser Macho-Gesellschaft eindeutig das Sagen, Frauen verschwinden unter langen Gewändern und am Herd. Es herrscht Unruhe im Land.

Selten hat ein Roman so sehr den Nerv der Zeit getroffen wie dieser: Die bitterböse Politsatire "Unterwerfung" sorgte als Buch, das in Frankreich zufällig am Tag des Terroranschlags auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo im Januar 2015 erschien, für Schlagzeilen. Auch als Theaterstück erregte der Stoff großes Aufsehen: Die Adaption des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg (in der Regie von Karin Beier) wurde zum Triumph – das grandiose Solo von Edgar Selge war vor zwei Jahren das Theaterereignis der Saison.

Umjubelte Inszenierung

Jetzt kommt auch das Fernsehpublikum in den Genuss der umjubelten Inszenierung mit Edgar Selge, die derzeit übrigens an den Münchner Kammerspielen gastiert: Regisseur Titus Selge, ein Neffe des bekannten Schauspielers, weiß zum Glück, dass es kaum etwas Langweiligeres gibt als Theater im Fernsehen. Er zieht einen doppelten Boden ein und verwendet Schlüsselszenen aus dem Stück, in denen Selge als Literaturprofessor François bitterböse und witzig über den Islam, Frankreich und vor allem seine diversen Geliebten herzieht, als Kommentar für eine in Paris spielende Rahmenhandlung.

Erstaunlicherweise funktioniert der Kunstgriff sehr gut. Am Anfang und Ende begleitet der Zuschauer Edgar Selge in Hamburg vor und nach der Theatervorstellung. Dann sieht man ihn in seiner Rolle als François auf der Bühne, ergänzt durch Filmszenen, die ihn im Paris der nahen Zukunft zeigen.

Vom Roman zum Theaterstück zur Filmadaption zum Fernsehen – das klingt komplizierter als es ist. Jedenfalls gelingt hier das Kunststück, eine Romanfigur zum Leben zu erwecken.

Dieser François ist ein ausgesprochener Kotzbrocken: arrogant, zynisch, frauenfeindlich, egomanisch. Nach dem Sieg der islamischen Partei verliert er seine Stelle als Professor an einer Pariser Hochschule. Ein wirkliches Problem bedeutet das für ihn allerdings nicht: Er bezieht eine stattliche Pension und hat alle Zeit der Welt, um sich seinen wechselnden Affären zu widmen. Doch seine Freundin Myriam wandert nach Israel aus, alte Freunde passen sich an. Es wird zusehends einsamer um François. Vergeblich geht er auf Sinnsuche in ein Kloster.

In Paris erreicht ihn mitten in dieser Sinnkrise ein überaus verlockendes Angebot der mittlerweile umgetauften Universität. Er kann seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen, wenn er zum Islam konvertiert. Dazu stellt man ihm eine kräftige Gehaltserhöhung sowie die Möglichkeiten der Polygamie in Aussicht. Der Zyniker muss da nicht lange überlegen.

Titus Selge setzt in seinem TV-Film (wie schon die Theateradaption) andere Akzente als Houellebecq, ohne ihn zu verfälschen. Viele Aspekte und Handlungsstränge des Romans fallen hier notgedrungen unter den Tisch. Im Mittelpunkt steht hier eindeutig der Intellektuelle François und sein Verhältnis zu den Frauen. Sein Beispiel illustriert die Verführbarkeit der herrschenden Männer-Elite durch die neue politische Führung. Der Machterhalt ist wichtiger als die Moral.

"Unterwerfung" zielt auf weitverbreitete Ängste in der bürgerlichen Gesellschaft, nicht nur in Frankreich: Die Angst vor dem Fremden im Allgemeinen und dem Islam im Besonderen, aber auch die Angst vor gesellschaftlicher Veränderung und dem Verlust von Heimat und Identität. Wie steht es mit dem Ideal der Demokratie und der Trennung von Staat und Religion tatsächlich?

Dass aus dem brandaktuellen, brisanten Stoff kein furztrockenes Lehrstück, sondern eine geistreiche Gesellschaftssatire wird, liegt vor allem auch an den großartigen Schauspielern – allen voran natürlich Edgar Selge. "Unterwerfung" ist ein mutiger, ein wichtiger Diskussionsbeitrag des oft gescholtenen öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

ARD sendet "Unterwerfung" am 6. Juni, 20.15 Uhr, im Ersten; im Anschluss geht es in Sandra Maischbergers Talkshow um Michel Houellebecqs grelle Politsatire.

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