"Deutschland 86": die nächste deutsche Prestige-Serie

17.10.2018, 10:05 Uhr
Martin Rauch und seine Tante Lenora (Jonas Nay & Maria Schrader) werden auch in Staffel zwei wieder Missionen für den DDR-Geheimdienst abwickeln - dann aber auf Amazons Streaming-Dienst Prime Video.

© Amazon Martin Rauch und seine Tante Lenora (Jonas Nay & Maria Schrader) werden auch in Staffel zwei wieder Missionen für den DDR-Geheimdienst abwickeln - dann aber auf Amazons Streaming-Dienst Prime Video.

Im deutschen Fernsehen ist "Babylon Berlin" gerade das Thema schlechthin. Kein Wunder, findet sich im von ARD und ZDF koproduzierten Format doch eine Serie der Superlative, die den Ruf des deutschen Fernsehmarkts auch international aufwertet. Export-Weltmeister ist Deutschland im Serien-Bereich wahrlich nicht, als Türöffner für internationalen Erfolg betrachten aufmerksame Beobachter aber nicht etwa "Babylon Berlin", sondern "Deutschland 83", dessen zweite Staffel "Deutschland 86" am 19. Oktober erscheinen wird. Der DDR-Spionagethriller Produktion von UFA Fiction und RTL landete im Jahr 2015 über Koproduzent Fremantle Media International beim US-Sender SundanceTV und kennzeichnete dort die erste deutsche Serie überhaupt, die ihre Weltpremiere in den USA feierte. Zuvor war "Deutschland 83" schon auf der Berlinale gelaufen.

Dieser zarte Hauch von Internationalität wuchs sich in der Folge zu einem wahren Aufwind aus, als angesehene internationale Medien auf "Deutschland 83" aufmerksam wurden. Die New York Times entdeckte in "Deutschland 83" eine erfrischende Perspektive auf deutsche Geschichte, Entertainment Weekly lobte den an "Mad Men" erinnernden Mix aus komplizierten historischen Umständen und poppigen visuellen Elementen. Das Wall Street Journal befand "Deutschland 83" als unterhaltsam und gut produziert. Wenig später folgte die Auszeichnung mit dem angesehenen International Emmy Award.

International erfolgreich, in der Heimat ein Flop

Doch "Deutschland 83" war auch ein Format der Widersprüche, denn obwohl die Serie ein Jahr nach ihrer Free-TV-Premiere schon in 40 Länder verkauft worden war, erzeugte sie in ihrem Heimatland nicht mehr als ein laues Lüftchen. Im Laufe der Ausstrahlungen bei RTL verloren Zuschauer immer weiter das Interesse, bis nicht mal mehr zwei Millionen Menschen zusahen. Unter normalen Umständen wäre eine so teure Serie mit einem so hohen Marketing-Budget mit dieser Bilanz nicht verlängert worden, doch der internationale Erfolg gab den Ausschlag und RTL die Drehbücher für die zweite Staffel "Deutschland 86" in Auftrag. Diese wird ihre Weltpremiere nicht mehr im US-Fernsehen feiern, sondern bei Amazon Prime Video.

Der Streaming-Dienst des Online-Versandhändlers will mit "Deutschland 86" den nächsten Schritt gehen. Gerade auf dem deutschen Markt hat Prime Video gegenüber Konkurrent Netflix einiges aufzuholen. Die Matthias-Schweighöfer-Serie "You Are Wanted" sollte als erstes Prestige-Projekt fungieren, erhielt aber im vergangenen Jahr international kaum Beachtung und schlechte Kritiken obendrein. "Deutschland 86" besitzt nun den Vorteil, am 19. Oktober bereits mit Vorschusslorbeeren zu starten, wenn weltweit die zehn je etwa 45-minütigen Episoden erscheinen.

Hinter Amazons Plan, auf Prestige-Formate umzusatteln, steht das Ziel, mithilfe der Online-Mediathek Prime Video möglichst viele Kunden in ein Amazon-Prime-Abonnement zu locken, für das das Online-Versandhaus einen Jahresbeitrag veranschlagt. Lockt bereits eine Film- oder Serienproduktion einen Neukunden in ein Abonnement, lohnt sich dies doppelt und dreifach für Amazon, dessen Prime-Abonnenten nachweislich ein Vielfaches an Artikeln über den Versand des Portals bestellen, sobald sie erst einmal die Prime-Vorteile genießen. Die Seriensparte ist also vor allem Mittel zum Zweck.

Eine überaus unterhaltsame Geschichtsstunde

Der Inhalt der neuen Serie tut da für Amazon weniger zur Sache, weshalb der Konzern den Produzenten weiter freie Hand ließ. Bereits der Titel "Deutschland 86" verrät den inhaltlichen Zeitsprung, den die Produktion in einer bereits bestätigten dritten Staffel mit dem Titel "Deutschland 89" fortsetzen wird. Dann soll es um den Mauerfall gehen. In "Deutschland 86" kehrt der von Jonas Nay gespielte Martin Rauch vom DDR-Auslandsgeheimdienst erst einmal als in Angola versteckter Deutschlehrer auf die Bildschirme zurück, nachdem seine Deckung am Ende von "Deutschland 83" aufgeflogen war.

Auch mit Martins Tante Lenora (Maria Schrader) gibt es ein Wiedersehen, auf das Rauch sicher hätte verzichten können. Sie betraut ihn wieder mit schmutzigen Missionen, mit denen sich die von Geldsorgen geplagte DDR versucht, über Wasser zu halten. Waffendeals, Müllimporte aus der BRD oder vom Westen bezahlte Medikamententests an DDR-Bürgern kommen vor. Alles basiert auf historischen Tatsachen, die das weiterhin verantwortliche Autoren-Paar Anna und Jörg Winger recherchierten und fiktionalisierten. "Deutschland 86" bleibt damit auch eine sehr unterhaltsame Geschichtsstunde.

Amazons Budget ist "Deutschland 86“ anzusehen

Dank des neuen Partners Amazon wird alles etwas größer als noch in Staffel eins, in der ein junger DDR-Spion plötzlich im Westen aufschlug und all den Verlockungen des Kapitalismus ausgesetzt war. Das höhere Budget ist der zweiten Staffel anzusehen, sie bringt auch deutlich mehr Action. Den nüchtern-distanzierten Blick auf Ost- und Westdeutschland in den 80er Jahren hat sich "Deutschland 86" aber beibehalten, was vor allem an der Deutsch-Amerikanerin Anna Winger liegen dürfte, die eine internationalen Perspektive auf das geteilte Deutschland von damals wahrt und damit wohl schon in der ersten Staffel Zuschauern aus dem Ausland entgegenkam. Der Einsatz internationaler Popmusik aus dieser Zeit dient erneut als teilweise ironischer Soundtrack.

Neu sind Darsteller wie Anke Engelke und Fritzi Haberlandt (aktuell auch in "Babylon Berlin" zu sehen), die Nay, Schrader, Sylvester Groth und Ludwig Trepte verstärken. Außerdem die Regisseure Arne Feldhusen ("Stromberg") und Florian Cossen ("Das Lied in mir"), die für Staffel zwei nicht mehr nur in Berlin drehten, sondern auch in Südafrika.

Die Serie schlägt in Staffel zwei viele Schlenker, spielt zu großen Teilen in Afrika und es braucht Zeit, bis die Fäden dann doch wieder in Berlin zusammenlaufen. Viel versucht die Amazon-Produktion abzuarbeiten, darunter auch Tschernobyl, die Aids-Krise oder Terrorismus. Wer die nötige Geduld mitbringt, wird am Ende von einer spannenden Erzählung belohnt, die zur Speerspitze fiktionaler Unterhaltung aus Deutschland zählt. Geduld müssen auch Interessenten beweisen, die kein Prime-Abonnement bei Amazon besitzen. Eine Free-TV-Ausstrahlung bei RTL wurde zwar angekündigt, ein Termin aber noch nicht. Wie "Deutschland 86" dort abschneidet ist mittlerweile sowieso komplett egal für die Zukunft der Serie geworden, solange viele Neukunden bei Amazon Prime anbeißen.

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