Die Frau in Rot fasziniert im guten Bremer "Tatort"

22.10.2017, 21:45 Uhr
Auch Hauptkommissar Stedefreund (Oliver Mommsen) kann sich der Anziehungskraft von Maria Voss (Nadeshda Brennicke) nicht entziehen.

© Radio Bremen/Michael Ihle Auch Hauptkommissar Stedefreund (Oliver Mommsen) kann sich der Anziehungskraft von Maria Voss (Nadeshda Brennicke) nicht entziehen.

Im Laufe der vergangenen siebzehn Jahre hat sich Florian Baxmeyer einen guten Namen als Regisseur gemacht. Außerdem ist er in dieser Zeit augenscheinlich zum Haus- und Hof-Inszenator des Bremer "Tatorts" herangereift. Denn bis auf wenige Ausnahmen gehen alle jüngeren Episoden aus der Hansestadt auf die Kappe des in den Siebzigern nahe Essen geborenen Filmemachers.

Nachdem er im prominent besetzten letzten Fall einem Psychopathen über die Schulter blickte, der in einem Auto Menschen der Reihe nach über den Haufen fuhr, offenbart Baxmeyer in "Zurück ins Licht" ein weiteres Mal seine Vorliebe für angeknackste Persönlichkeiten. Schließlich bekommt der Zuschauer darin erneut einen zutiefst zerrissenen Menschen vorgeführt. Diesmal ist es aber kein Mann, sondern eine Frau, deren seelische Achterbahnfahrt äußerst ansprechend in Szene gesetzt wird.

Maria Voss - hinreißend dargestellt von Nadeshda Brennicke - ist auf den ersten Blick eine typische Karrieristin. Sie ist ehrgeizig, gebildet, erfolgshungrig. Jedwede Herausforderung, die sich der attraktiven Pharmareferentin bietet, wird gesucht und letztendlich gemeistert. Denn Misserfolg kommt im Vokabular einer Maria Voss nicht vor. Zugleich setzt sich die Protagonistin aber auch immensem Druck aus. Unter allen Umständen will sie den Anforderungen an eine Frau ihres Alters entsprechen: wichtiger Job, nette Familie, tolles Aussehen. Ein Scheitern muss daher unbedingt verhindert werden.

Da Menschen jedoch immerzu scheitern, Baxmeyers Hauptfigur sich das aber weder vor ihrer Umwelt, noch vor sich selbst eingestehen kann, etabliert sich in Voss ein faszinierender Verdrängungsmechanismus. Bei genauerem Hinsehen erscheint die Frau also keineswegs mehr wie eine Karrieristin. Es zeigt sich eine zutiefst ambivalente Persönlichkeit. Ein Mensch mit einem bipolaren Charakter, der sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten das aufwändig aufgebaute Lügenkonstrukt und die mühsam erschaffene Scheinwelt von niemandem zerstören lassen möchte.

Eine Frau, die alle um den Finger wickeln kann

Weil die Kommissare jedoch zunächst den abgetrennten Finger und wenig später den dazugehörigen Leichnam des Chefs eines kürzlich bankrott gegangenen Pharmakonzerns und ehemaligen Vorgesetzten von Maria Voss aufstöbern, droht genau das zu passieren. Die Welt, die sich die Frau hemmungslos zusammengelogen hat, steht vor dem Zerfall. Sie versucht zu retten, was zu retten ist, und macht dabei vor nichts Halt. Auch nicht davor, dem Kommissar schöne Augen zu machen, wenn es ihrer Sache dienlich ist.

Sie tischt ihm obendrein eine tragische Opfergeschichte auf, auf die der natürlich prompt reinfällt. Das am Ufer eines kleinen Sees vonstattengehende Liebesspiel mit der Verdächtigen mag schön gewesen sein, passiert jedoch zur Unzeit. Denn der gute Stedefreund (Oliver Mommsen) ist eigentlich gerade dabei, ausgelatschte Junggesellenpfade für immer zu verlassen und sich mit seiner inselbegabten Freundin und BKA-Kollegin (Luise Wolfram) häuslich einzurichten. Doch Maria Voss, die gerne mit ihren Rollerblades in einem knallroten Mantel durch das nächtliche Bremen rauscht, übt auf den sonst so ruhenden Knaben eine immense Anziehungskraft aus.

All das formt Baxmeyer auch dank eines nicht linearen Erzählrhythmus zu einem hübsch anzusehenden, abwechslungsreichen Film. Im Zusammenspiel mit Musik, Licht und Farbe bringt Baxmeyer Marias zerbrochenes Ich dabei noch deutlicher zum Vorschein. Auf der einen Seite ist da das Haus, in dem Maria wohnt. Es ist hell und die Wände leuchten weiß. Das noble Anwesen, das ihr nicht gehört, es aber jedem als ihres verkauft, symbolisiert die Scheinwelt, mit der Maria sich umgibt.

Eine Welt, in der alles gut ist, das Umfeld ihr Respekt zollt und der Ex kurz davor ist, ein weiteres Mal ihren Umgarnungen zu erliegen. Dem gegenüber steht das kleine karge Kämmerlein in einer Lagerhalle, in das Voss sich immer wieder zurückzieht. Dort kauert sie in nahezu völliger Dunkelheit vor einem Spiegel, führt Monologe und geht dabei hart mit sich ins Gericht.

So ist "Zurück ins Licht" streng betrachtet denn auch eher ein Psychogramm einer Frau, die durch den Glauben an sich selbst in der Lage ist, ihre Umwelt und auch sich selbst zu täuschen, und weniger ein typischer Krimi, in dem klassische Ermittlungsarbeit in schlecht durchlüfteten Vernehmungsräumen stattfindet. Das soll aber nicht weiter interessieren, denn gut ist Baxmeyers neuerlicher Bremer "Tatort" allemal.

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