"Die Kraft der Melodie ist für mich ausschlaggebend"

13.12.2018, 11:22 Uhr

© Margrit Müller

Herr Ilg, Sie haben bereits Verdis Otello, Wagners Parsifal und Beethoven interpretiert. Wie kam es jetzt zu Ihrer Auseinandersetzung mit Bach?

Dieter Ilg: Etwa so spontan wie es zu "Otello" kam: Aufgrund einer berühmten Kontrabass-Stelle aus dieser Verdi-Oper hatte ich seit meinem klassischen Kontrabass-Studium einen ganz speziellen Bezug dazu. Die Melodie fiel mir immer wieder in die Hände. Ich lass da meistens meinen Bauch entscheiden. Genauso habe ich mich für Wagners Parsifal entschieden, dann hat mich Beethoven fasziniert. Bach war für mich die logische Folge.

Ihr Label Act stellte online neben das B-A-C-H-Cover ein Zitat von Joshua Redman: "Du kannst nicht Jazz spielen, ohne Bach zu spielen". Sehen Sie das so?

Ilg: Sagen wir es so: Alles, was war, bevor der Jazz entstanden ist, steckt definitiv auch in diesem Genre. Alles, was vorher an Musikern gelebt und an Komposition stattgefunden hat, hat den Jazz sowohl in Harmonik, Rhythmik, Melodik et cetera beeinflusst.

Halten Sie es also für wichtig, als Jazzer eine klassische Ausbildung zu haben?

Ilg: Nein. Für mich war das klassische Studium ein Teil meiner musikalischen Bildung, obwohl ich längst wusste, dass ich Jazz-Bassist werden wollte. Die Erfahrungen, die ich dabei sammelte, sowie die aus dem klassischen Spiel als Kind und Jugendlicher haben mich selbstverständlich geprägt. Aber es geht auch ohne!

Vor Jahrzehnten schon hat der französische Pianist Jacques Loussier Bach im Trio verjazzt. Mit der Reihe "Play Bach" wurde er berühmt. In welchem Verhältnis stehen Ihre Bearbeitungen dazu?

Ilg: Natürlich habe ich Loussier in den 70er Jahren mal gehört. Als Jugendlicher hatte ich mal versucht, eines seiner Konzerte zu besuchen. Ich bin damals durch tiefen Schnee gestapft, doch als ich endlich an der Offenburger Stadthalle ankam, hing dort ein Schild mit der Aufschrift "Konzert fällt heute aus". Das ist meine einzige Geschichte mit Loussier.

Sie haben mit "Air", "Siciliano" oder den "Goldberg-Variationen" etliche Hits von Bach in Ihr Album aufgenommen. Was liegt Ihnen an diesen Ohrwürmern?

Ilg: Die Kraft der Melodie ist für mich immer eines der — sagen wir: herzaffinsten Dinge, die ich mit Musik verbinde. Ich habe auch keine Berührungsängste, wenn ich "schön klingende Melodien" spiele. Wichtig ist, dass ich einen Bezug zu ihnen habe. Ich versuche sie so rein, so empfindsam wie möglich zu spielen beziehungsweise zu verarbeiten, sie also nicht zu defragmentieren oder zu dekonstruieren. Das ist ein kleines Steckenpferd von mir.

Fällt es nach Ihrer Erfahrung einem Jazzer leichter in Klassik-Gefilde vorzudringen als einem Klassik-Musiker in die Welt des Jazz?

Ilg: Ich hab da ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Es gibt Leute, die immer schon einen Bezug zum Jazz haben, bei denen funktioniert es gut, zum Beispiel beim Sänger Thomas Quasthoff. Bei uns gibt es immer noch eine starke Trennung zwischen Jazz und Klassik — wenn ich mal diese beiden Klischeewörter benutze, die vom Inhalt her ja viel breiter gefächert sind, als es scheinen mag. Das erklärt vielleicht, warum es für den ein oder anderen schwierig ist, sich in die Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Jazz einzufinden. In den USA etwa herrscht eine Gleichberechtigung in der Ausbildung, es gibt mehr Musiker, die beides studieren.

Sie haben bereits in jungen Jahren mit Jazz-Trompeter Randy Brecker und dem Mangelsdorff/Dauner Quintett gespielt. Was haben Sie von den alten Hasen gelernt?

Ilg: Meine eindrücklichste Zeit, in der ich am meisten menschlich, persönlich und natürlich musikalisch gelernt habe, die mich enorm geprägt hat, waren die zwei Jahre in der Band von Randy Brecker. Ich durfte die Musik spielen, die mir sehr am Herzen lag — Hardbop, und auch der Funk-Fusion-Gestus —, und mich mit Musikern auseinandersetzen, die mich dahin gebracht haben, wo ich jetzt stehe.

Seit 2013 spielen Sie im Duo mit Star-Trompeter Till Brönner. Eine ungewöhnliche Kombination. Was ist für Sie das Interessante daran?

Ilg: Zum einen, dass ich stark gefordert bin und fast das ganze Konzert durchspiele. Und das an der Seite eines ganz hervorragenden Musikers. Zum anderen geht es darum, in dieser klaren, gegensätzlichen Besetzung eine Symbiose zu schaffen, die die Musik so an den Hörer bringt, dass es spannend wirkt. Wir versuchen, ich sag’s mal so: der Puppe Song jedes Mal ein anderes Kleid anzuziehen.

Nach Nürnberg kommen Sie mit Rainer Böhm und Patrice Héral. Ihr Dream-Team für Klassik-Interpretationen?

Ilg: So wie’ aussieht ja (lacht). Das ist eine Working Band, die seit neun Jahren ausgezeichnet funktioniert.

Wir müssen noch über Ihre Rolle als Feinschmecker und Hobby-Koch sprechen. In der Jazzszene sind sie dafür bekannt. Was gibt es zu Weihnachten?

Ilg: (lacht) Ich habe ein Faible für einen Nürnberger Weinhändler. Dort decke ich mich mit Getränken ein. An Weihnachten gibt es das, was ich schon seit meiner Jugend kenne: selbstgemachte Hühnerbrühe mit Grießklößchen, dazu Feldsalat. Aus dem Huhn wird ein Ragout gemacht. Zum Nachtisch bietet sich zum Beispiel Schokoladenkuchen an.

Improvisieren Sie in der Küche wie als Jazzmusiker auf der Bühne?

Ilg: Ich liebe es, mich an Rezepte zu halten, wenn ich weiß, dass sie taugen. Andererseits kann man immer improvisieren, also etwa Erbsen oder Schwarzwurzel zum Ragout nehmen.

Aktuelle CD: Dieter Ilg: B-A-C-H (Act); Karten für das Konzert in der Tafelhalle, Tel : 09 11/2 16-27 77

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