Die Kulturweltmacht USA hat ungebrochenen Einfluss

17.8.2017, 21:45 Uhr
Micky-Maus, Bob Dylan, Andy Warhol, Game of Thrones und vieles mehr: Was heute weltweit (Pop-)Kulturgut ist, stammt ursprünglich aus Amerika.

© Uncredited/dpa Micky-Maus, Bob Dylan, Andy Warhol, Game of Thrones und vieles mehr: Was heute weltweit (Pop-)Kulturgut ist, stammt ursprünglich aus Amerika.

Micky Maus, Superman und "Game of Thrones". Coca-Cola und McDonald's, Apple und Google und Facebook. Musik von Madonna und Michael Jackson, Bob Dylan und Beyoncé. Rocky Balboa und Michael Jordan. Filme mit Brad Pitt und Robert De Niro, Meryl Streep und Tom Hanks. Wo fängt es an, wo hört man auf, wenn man den kulturellen Einfluss der USA auf den Rest der Welt bemessen will? Das Image der Supermacht mag unter Präsident Donald Trump wanken, das Reich der (Pop-)Kultur beherrscht sie bis heute.

Das war nicht immer so. Rückblickend betrachtet gaben über die Jahrhunderte französische Maler, britische Schriftsteller, italienische Bildhauer und deutsche Komponisten den Ton an. Vor Beginn des 20. Jahrhunderts war es vor allem der amerikanische Traum, sich selbst zu verwirklichen, der Millionen an die Ufer der jungen Nation USA trieb. Erst um den Ersten Weltkrieg (1914-1918) setzte sich dort eine kulturelle Exportmaschine in Gang - die ausgeführten Waren hießen Charlie Chaplin, Western, Ragtime und Jazz.

Der amerikanische Lifestyle selbst wurde zum Exportschlager, als auch der Zweite Weltkrieg (1939-1945) überstanden war. Amerikanische Truppen lebten im Nachkriegseuropa ihre Interpretation von Coolness vor, Filme mit Marilyn Monroe liefen im Kino. Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Miles Davis lieferten den Soundtrack zu einer Ära, aus der bald Elvis Presley als Superstar hervorgehen sollte und die den Rock'n'Roll aus den Kinderschuhen hob.

"American way of life"

Nicht nur über den Atlantik schwappte der "american way of life", sondern auch über den Pazifik nach Japan. Kühlschränke, Fernseher, Waschmaschinen: "Die Menschen wollten alle möglichen Elektrogeräte kaufen und in Vorstadthäusern amerikanischen Typs leben", schrieb der Soziologe Yoshimi Shunya von der Universität Tokio im Jahr 2008. Dazu kamen Film, Fernsehen, Musik, Mode, Produktwerbung und Sport, die vor allem in Westeuropa, aber auch in Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas die Handschrift "Made in USA" hinterließen. "Amerikanische Kultur regiert die Welt", schrieb das Magazin Raconteur 2014.

Das gilt vor allem im Film: Mit blauhäutigen Wesen, einem Liebespaar auf der sinkenden Titanic und galaktischen Raumschiffen hat Hollywoods Traumfabrik weltweit die Spitzenplätze sicher im Griff. Den Verkaufsrekord rund um den Globus hält "Avatar - Aufbruch nach Pandora" (2009) mit 2,79 Milliarden US-Dollar, gefolgt von "Titanic" (2,19 Milliarden) und "Star Wars: Das Erwachen der Macht" (2,07 Milliarden). Bezieht man steigende Ticketpreise der vergangenen Jahrzehnte ein, gehören auch "Vom Winde verweht" (1939), der allererste "Star Wars"-Film aus dem Jahr 1977 sowie "E.T." zu den größten Verdienern der Kinogeschichte.

Hollywoods über hundert Jahre alte Vormachtstellung im Film ist ungebrochen, daran wird sich auch unter Trump nichts ändern. Doch der Kollisionskurs mit dem liberalen Hollywood, von Trump oft als elitärer Club verhöhnt, ist programmiert: Den wohl denkwürdigsten Schlag gegen den Präsidenten - ohne dabei seinen Namen zu nennen - teilte Meryl Streep im Januar auf der Golden-Globe-Bühne aus. Ihr mahnendes Plädoyer gegen Diskriminierung und Beschneidung der Pressefreiheit war eine unmissverständliche Ohrfeige für Trump.

Kooperation in Gefahr

Der scheut sich offenbar nicht vor einem Zoff mit der Kulturwelt. Nach Trumps Budgetplänen will er das National Endowment for the Arts (NEA) und das National Endowment for the Humanities (NEH) am liebsten ganz abschaffen. Beide staatlichen Stiftungen fördern Kunst und Geisteswissenschaften; das NEA bezuschusst unter anderem Jazz-, Opern- und Theaterprojekte und fördert Autoren in einem Literaturprogramm sowie bildende Kunst. Untergehen würde die in den USA zu größten Teilen privat finanzierte Kultur davon sicher nicht, doch die Symbolwirkung wäre enorm.

Auch der verschärfte Handelsstreit zwischen China und der Trump-Regierung könnte der wachsenden Kooperation der Traumfabriken in Hollywood und im Reich der Mitte schaden. Kein Hollywood-Film kann heute international ein Kassenschlager werden, ohne auch in China erfolgreich zu sein. Im Star Wars-Abenteuer "Rogue One" spielen chinesische Filmstars mit, in der Neuauflage von "Independence Day" kämpften Amerikaner und Chinesen gemeinsam um die Rettung der Erde - mit dem chinesischen Star Yang Ying als hübscher Kampfpilotin.

Der chinesische Film prescht voran: Chinas Regisseur Zhang Yimou drehte etwa die 140-Millionen-Dollar-Produktion "The Great Wall" mit Matt Damon und Produzenten aus Hollywood. Wenn Tom Cruise in "Mission Impossible 3" durch Shanghai rast oder die "Transformers" Hongkong demolieren, dann hat Hollywood das wachsende chinesische Publikum im Auge. Doch der Zugang zum chinesischen Massenmarkt hat Hürden, es gibt Quoten und Zensur für ausländische Filme. Ein Handelskrieg der USA mit China könnte Hollywoods "Happy End" gefährden. Auch andere Filmindustrien stemmen sich gegen die Allmacht der Mammut-Studios aus Kalifornien, etwa die "James Bond"-Filme aus Großbritannien oder Werke aus Indien (Bollywood) und Nigeria (Nollywood).

Serien als Massenkult

TV-Serien können mit ihren viel geringeren Budgets auf diesem Level nicht mitspielen, zum Massenkult geworden sind amerikanische Shows wie die "Simpsons", "Akte X", "Game of Thrones" und "The Walking Dead" trotzdem. Die Krimiserie "Navy CIS" sahen 2016 weltweit 47 Millionen Menschen - damit heimst die CBS-Produktion den Titel als meistgesehene Serie beim Fernsehfestival in Monte Carlo zum dritten Mal in vier Jahren ein. Auch Comedy-Serien wie "The Big Bang Theory" und "How I Met Your Mother" sind außerhalb der USA beliebt.

In der Welt der Musik haben Komponisten, Instrumentalisten, Sänger, DJs und Produzenten aus den USA eine kaum messbare Menge an Genres und Sub-Genres vorbereitet, entscheidend geprägt oder selbst erschaffen. Unter Rockern heißen sie Bluegrass, Rockabilly, Heavy Metal, Ska, Punk Rock oder Emo, bei Freunden elektronischer Tanzmusik sind es Techno, House oder Trance, anderswo Hiphop, Funk, R&B und Soul. Diese in Zwischen-Genres und Untergruppen zersplitterten Geschmäcker haben Millionen Musikfans in den USA und anderen Ländern vereint, manchmal aber auch gegeneinander aufgebracht.

Was nicht heißt, dass kulturelle Vorgaben aus den USA eins zu eins kopiert oder übernommen werden. Bushido oder der deutsch-türkische Rapper Kool Savas texteten in der Gesangskabine ganz eigene Stile ins Mikrofon, die Hiphop der Ost- oder Westküste eben nicht abkupferten. Doch ohne die Vorarbeit von Run D.M.C., Public Enemy oder dem Wu-Tang Clan wären diese Jungs womöglich nie zum Rap gekommen - schlicht deshalb, weil es das Genre gar nicht oder nicht so gegeben hätte.

Keine Frage: Andere Länder (und ganze Kontinente) haben eigene Musikwelten erschaffen, Millionen Mexikaner oder Brasilianer hören eher Cumbia, Norteño und Samba. Mit "Despacito" ging der Rekord für das meistgeklickte Youtube-Video kürzlich auch nicht an die USA, sondern an Luis Fonsi und Daddy Yankee aus Puerto-Rico. In vielen Teilen Afrikas und Asiens wird Musik aus der jeweiligen Region lauter und häufiger gespielt als die neue Single von Lady Gaga. Nur haben diese Künstler meist eben nicht die globale Reichweite wie ein von einem einflussreichen US-Label ins Ausland getragener Star.

Bewunderung für die USA

In Musik, Film und Fernsehen hört der kulturelle Einfluss nicht auf. In der Kunst sind die Namen Andy Warhol, Jackson Pollock und Jeff Koons heute bald genauso bekannt wie Michelangelo, Pablo Picasso und Vincent Van Gogh. Die Mode von Ralph Lauren und Calvin Klein mag hinter Karl Lagerfeld, Donatella Versace und Giorgio Armani zurückstehen, die in den USA erfundenen oder dort popularisierten Jeans, T-Shirts und Baseballkappen finden sich heute trotzdem in den entlegensten Winkeln der Erde.

Ähnliches gilt in der Literatur: Stephen King, John Grisham und Dan Brown mögen in deutschen Feuilletons nicht als Hochkultur gelten, haben die Büchermärkte dank Dutzender Übersetzungen aber überschwemmt. Im Sport haben sich etwa Basketball und Football nicht nur außerhalb der USA etabliert, sondern mit ihnen auch die Art, wie deren Wettkämpfe beworben, verfolgt und gefeiert werden (an den Weltsport Fußball reichen sie trotzdem nicht heran). Selbst beim Essen haben die gern als kulinarische Stümper verschrienen Amerikaner sich etabliert: Pizza stammt aus Italien, wurde wie der Hamburger aber durch amerikanische Fast-Food-Ketten zum Straßensnack für Millionen.

"In Ländern rund um den Globus umarmen die Menschen die amerikanische Populärkultur und bewundern die USA für ihre Wissenschaft und Technologie", schreibt das Pew Center in einer Studie von 2012. Das gilt in Russland, Indien, China und muslimisch geprägten Ländern viel weniger, auch dank deren heimischer Film- und Musikindustrien und politischer Zerwürfnisse. Für Deutschland gaben 94 Prozent der damals 18- bis 29-Jährigen an, Musik, Filme und TV-Shows aus USA zu mögen, bei den Befragten über 50 Jahren waren es nur 47 Prozent.

Welchem Land ein Song, eine TV-Serie oder ein Film "gehört", lässt sich trotz ausgeprägter Urheberrechte oft kaum noch sagen. Konzerne wie Sony aus den USA, Bertelsmann aus Deutschland und Vivendi aus Frankreich (zu dem etwa Universal Music gehört) haben sich einen großen Teil des amerikanischen Entertainment-Kuchens einverleibt und verzerren das Bild, schreibt Professor Winfried Fluck, der am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin zur Kultur der USA und Amerikanisierung forscht.

Die kulturelle Schlagkraft der USA hängt auch damit zusammen, dass das Land von wirtschaftlichen Interessen beherrscht wird. Die auf Einschaltquoten, Werbeerlöse, Klickzahlen und Chartplatzierungen getrimmte, milliardenschwere Entertainment-Industrie hat längst auch ausländische Märkte im Visier. In Deutschland, wo Oper, Theater, Musik und Rundfunk vom Staat mitgetragen werden, hängt Kultur viel stärker am finanziellen Tropf der Steuerzahler. Diese Kunst soll zuallererst bei den Bürgern ankommen und erst an zweiter Stelle als «soft power» ins Ausland exportiert werden.

Deutschland an der Spitze

In Deutschland mag mancher Operngänger oder Theaterfreund die Nase rümpfen, wenn das Wort "Kultur" überhaupt mit den USA in Zusammenhang gebracht wird. Aus ihrer Sicht kann das Land von Kaugummi-Englisch, Schlabberhosen und Cheeseburgern es nicht mit "Germany" aufnehmen, wo es dank des staatlichen Fördersystems im Pro-Kopf-Vergleich so viele Theater, Museen und Konzerthäuser gibt wie nirgendwo sonst auf der Welt. Und an einen Simon Rattle in der Berliner Philharmonie mag ein Alan Gilbert mit seinem New Yorker Orchester tatsächlich nicht heranreichen.

Eine Mischung aus künstlerischer Freiheit, Unternehmergeist und fetten Budgets festigte die (pop-)kulturelle Vormachtstellung der USA über Jahrzehnte. Sehr oft waren dabei Talente aus dem Ausland die treibenden Kräfte, die unter Trump ihre Rolle in der amerikanischen Gesellschaft nun hinterfragt sehen. Im Kino werde den Vereinigten Staaten so schnell jedenfalls kein Land das Wasser reichen können, schreibt das Magazin Foreign Policy: "Wenn Hollywood weiterhin die Besten und Hellsten aus dem Ausland anzieht, wird Hollywood unantastbar bleiben, egal wie weit der Rest Amerikas verfällt."

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