Die TV-Reportage "Türken, entscheidet Euch!"

24.5.2018, 18:48 Uhr
Die TV-Reportage

© Foto: Radio Bremen/Matthias Bähr

Es ist erst zwei Wochen her, dass Mesut Özil und Ilkay Gündoðan mit ihrer Sympathie-Bekundung und Wahlkampf-Hilfe für den umstrittenen türkischen Präsidenten Erdoðan für reichlich Unmut sorgten. Der Faux Pas der beiden jungen Männer mit türkischen Wurzeln und deutschem Pass hätte als Thema auch in die Reportage "Türken, entscheidet Euch!" gepasst. Darin reist die Berliner Drehbuchautorin und Regisseurin Gülseren Ölcüm (geboren 1985) durch die Republik, um ganz unterschiedliche junge Menschen mit türkischem Migrationshintergrund zu treffen.

Ölcüms Gesprächspartner haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland, sie sprechen die Sprache, gehen hier zur Arbeit und treffen ihre Freunde. Und doch sind sie — mal mehr, mal weniger — hin- und hergerissen. Die Reporterin eröffnet dem Zuschauer die Welt von viereinhalb Millionen Deutsch-Türken, einer sehr heterogene Community, in die die wenigsten Deutschen Einblick haben. Spätestens seit sich die Türkei mit Erdoðan immer mehr von Europa entfernt und demokratische Werte aufgibt, herrscht in dieser Gemeinde Verunsicherung in Sachen Haltung, Heimatgefühl und Identität.

Gülseren Ölcüm, die diese Gefühlsgemengelage selbst kennt, erzählt ihre Geschichte ganz im Sinne des innovativen Formats "Rabiat". Das greift die Kommunikationskultur der digitalen Medien auf und setzt sich entsprechend mit den Themen der Generation Y, also der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, auseinander. Statt sich objektiv im Hintergrund zu halten oder ihre Fragen aus dem Off zu stellen, bringt die Berlinerin sich und ihre Ansichten direkt ein. "Ich bin nicht 100 Prozent deutsch, aber ich bin auch deutsch", heißt es da einmal im Gespräch mit einer Youtuberin.

Die Reporterin trifft eine Erdoðan-Verehrerin, die Sprecherin der AKP-Partei in Deutschland ist, sie diskutiert mit einem Profiboxer und Atatürk-Fan aus Parsberg im Landkreis Neumarkt, der wegen Erdoðan-kritischer Posts angefeindet wird; sie interviewt eine CDU-Politikerin mit türkischen Wurzeln oder einen Filmemacher und dessen türkische Oma. Der Ton ist locker, die Reporterin ist der rote Faden ihrer Story, der man gleichsam beim Entstehen zusieht. Vieles wirkt im besten Sinn spontan und improvisiert, aber immer zielgerichtet. Ölcüm ist ganz nah dran an ihrem Thema, und wenn sie selbst mal ein Video mit dem Smartphone dreht, darf es auch wackeln.

Die offene Form der "Rabiat"-Reihe und die teilnehmende Dauerpräsenz der aufgeweckten und zugewandten Reporterin mögen gewöhnungsbedürftig sein. Am Ende überzeugt der Film jedoch mit seiner Lebensechtheit. Die Interview-Partner öffnen sich der jungen Frau, die ja in derselben Situation steckt wie sie, wie einer neuen Bekannten, die man in der Kneipe, beim Konzert — oder eben via Facebook kennengelernt hat.

Gülseren Ölcüm gehört wie die übrigen Reporter der ARD-Reihe zum "Y-Kollektiv", das mit sehr persönlichen Reportagen im Netz von sich reden macht. Beiträge über den Konsum chemischer Drogen und junge Millionäre sind bereits erschienen. Nach "Türken, entscheidet Euch!" (28. Mai) geht es um Hass und Hetze im Internet (4. Juni) und Pädophilie (11. Juni) Die Sendungen beginnen um 22.45 Uhr.

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