Ein komischer Heiliger und sein Erfinder

22.10.2011, 00:00 Uhr
Ein komischer Heiliger und sein Erfinder

© Michael Matejka

Zwei frische Gläser Weißbier - und Martin Walser kam auf Touren: „Alle wollen mit mir jetzt über den Glauben reden, von dem sie sowieso nichts verstehen,“ sagte er laut und ließ unschwer durchblicken, wie genervt er von der Einstiegsfrage des Moderators Manfred Boos war, der mit einer gewohnt riskant launigen Mischung aus Jovialität und Provokation dem Schriftsteller besonders originell kommen wollte und ihm gleich mal die Gretchen-Falle stellte: Wie hält der es denn nun mit der Religion?

Walser trommelte genervt mit den Fingern auf die Tischplatte: Die Reaktionen der Intellektuellen („Ich meine jetzt nicht Sie, Herr Boos“) auf „Muttersohn“ hätten gezeigt, „wie zutiefst unfähig die sind, mit etwas umzugehen, das mit so etwas Einfachem wie dem Glauben zu tun hat.“ Schon wollte man ihn in eine ganz bestimmte Ecke schieben, hielt den Tonfall der Geschichte für „pastoral“ und fragte, ob er denn jetzt etwa eine neue „Diesseits-Religion“ im Auge habe. „Ach...“, winkte Walser da lachend ab und sagte: „Eigentlich wollte ich doch nur mal wissen, wie man in diesem Literaturbetrieb ankommt, wenn man solche Sachen schreibt.“

„Solche Sachen“, das sind in „Muttersohn“ dann zum Teil doch sehr rätselhafte Anwandlungen und Anmerkungen eines komischen Heiligen, der sich Percy nennt und in unserer Zeit mit dem Wunder hausieren geht, er wäre das Produkt einer unbefleckten Empfängnis. Das wirkte bei der ersten Lektüre über lange, mitunter gar ein wenig weihrauchgeschwängerte Stellen hinweg so provozierend und angestrengt unrealistisch wie auch streckenweise peinlich. Der Typ produzierte sich von Kanzeln herab und in Talkshows als „Engel ohne Flügel“ und pries sich an: „Ich bin geleitet“.

Das konnte doch ein Dichter-Denker wie Martin Walser, politisch mal links, mal liberal, auf jeden Fall aber stets aufgeklärt, nicht im Ernst gemeint haben? Hat er wohl auch nicht so ganz: Denn wenn Walser selber diese „Stellen“ liest, dann ist da eine sehr feine ironische Distanz zu hören, ein heiteres Wundern über die Roman-Figur, die er doch selber erfunden hat und die so ein seltsames Eigenleben entwickelte.

Denn Walser machte gleich klar, dass er die Verantwortung für diesen heiligen Helden ablehnt. Der habe sich ihm aufgedrängt mit seinen An- und Absichten, habe ihm „zugeflüstert“ und so musste er ihn nehmen wie er war. In Nürnberg veredelte Martin Walser solcherart Einblicke in die Schreibwerkstatt gleich zu einer kleinen Poetologie: „Ich bin als Autor nicht souverän, ich muss mich leiten lassen und kann nur zusehen und dokumentieren, wie das eine Ereignis in der Geschichte das andere gleichsam produziert.“

So wischte denn Walser alle böse gemeinten Angriffe und alle verzückten Anbiederungen vom Tisch: „Der Glaube, wie er in meinem Buch vorkommt, hat mit der Religion oder dem Papst nichts am Hut. Und ich selber existiere ja auch jenseits der Sphäre, in der dieser Benedikt direkt zu inspirieren vermag.“ Glaube – und soviel hat der Schriftsteller dann doch von diesem ihm zugelaufenen und in die literarische Welt geschickten Percy gelernt – hat allein etwas mit dem Empfinden und Bewahren von Schönheit zu tun. Da ginge es nicht um Greifbares oder Entrücktes, nur um das irgendwie berechenbare Wohlergehen im Leben und darüber hinaus. Denn auch „das Jenseits muss schön sein, sonst kannst du es gleich vergessen.“

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