Etikettenschwindel am Theater Bamberg

26.11.2018, 18:34 Uhr
Etikettenschwindel am Theater Bamberg

© F.: Martin Kaufhold

Die Ereignisse in Bayern nach dem Ersten Weltkrieg bildeten einen ungeheuer dramatischen Prozess. Die Stimmung war revolutionär, das Bürgertum saß geschockt zu Hause. Die Linke war gespalten, die SPD bildete zwei Flügel: die Mehrheitlichen und die Unabhängigen, dazu kamen der kommunistische Spartakusbund und ein Grüppchen Anarchisten. Regierungen wechselten sich ab, der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner von der USPD wurde von einem Rechtsradikalen ermordet, darauf wurde eine noch linkere Räterepublik ausgerufen. Die eigentlich gewählte MSPD-Regierung flüchtete nach Bamberg. Und weil regelrechte Panik herrschte vor einer Räteregierung sowjetrussischer Bauart, verbündete sich die Sozialdemokratie mit rechtsradikalen Heimwehr-Militanten.

Was folgte, war ein Massaker an den Revolutionären in München und vollkommen unbeteiligten Zivilisten.

Von all dem ist nun in dem Stück der Regisseurin Sophia Barthelmes zwar irgendwie die Rede, aber irgendwie auch nur sehr am Rande. Stattdessen handelt es sich bei dem eineinhalbstündigen Theaterabend um ein Potpourri aus einem Teil der Schriften von Ernst Toller, der als Herzens-Anarchist an der kurzlebigen Räterepublik an führender Stelle beteiligt war, danach mehrere Jahre in Haft saß. Aber selbst als kraftvoller Literat erscheint Toller auf der Bühne kaum, stattdessen bleibt ein sehr privater Blick auf den Mann, an dem bayerische Geschichte klebt und die Kraft großen, revolutionären Geistes.

Ernten von Lesefrüchten

Das Publikum sieht wenig davon. Es sieht stattdessen: Eine junge Frau hat Toller gelesen. Es sieht einer beeindruckten Leserin beim Ernten von Lesefrüchten zu. Als schlichte Lesung hätte das Unterfangen womöglich sogar geklappt, als Stück funktioniert es gar nicht. Dramatik und Dynamik des revolutionären Prozesses fehlen komplett. Stattdessen hüpft die Darstellerin des Toller ab und zu, wenn ein revolutionärer Akt gelingt, herum und ruft "Juchu!".

Oft ergibt es durchaus Sinn, Männerrollen mit Frauen zu besetzen, um Sichtweisen zu brechen, hier aber verstellt es den Blick auf den Protagonisten nur noch mehr. Klar, kann es interessant sein, eine historische Person auf einen sehr intimen Umgang mit ihr herunterzubrechen, aber dann wäre es doch schön, wenn eine Logik erkennbar würde, wieso das alles eigentlich sein muss. Eine Erkenntnis-Ebene in den Bühnenraum zu stellen, die über die bloße Betroffenheit der Regie hinausginge.

Es gäbe da so viel Themen zu entdecken und zu vertiefen, etwa die Chancenlosigkeit einer Linken, wenn sie sich immer und immer wieder aufsplittert, die Rolle der Sozialdemokratie in der Revolution, der Keim des Rechtsradikalismus, das Einsickern von Gewalt in Politik. Irgendwie ahnt man in einem ungeheuer rätselhaften Zwischendurch-Auftritt der Musikerin Saskia Kaufmann, der sich zwischen Stand-up und Kommentar bewegt, dass das bei der Produktion irgendwie Thema war. Aber dann? Irgendwie kommt's nicht rüber. Ewa Rataj müht sich in ihrer textgewaltigen Ein-Mann-Show sehr, aber schlussendlich ist das alles hochgradig enttäuschend.

Weitere Aufführungen: 28./ 29.11., 2., 5.-7., 14./15., 19.- 21.12. Kartentel.: 09 51/87 30 30

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