Gipfelstürmer in höchster Not

15.1.2016, 19:34 Uhr
Gipfelstürmer in höchster Not

© Foto: Michael Matejka

Eis und Schnee satt, grandiose Alpen-Bilder, die bis ins finstere Herz der Berge vordringen, Liebesdrama, Heldentod und ein Hollywood-Sound, der in seiner Überwältigungs-Opulenz mächtig auf die Tube drückt: Wer ganz großes Kino liebt, der kam beim Festival-Auftakt im vollbesetzten Musiksaal der Symphoniker in der Kongresshalle in jeder Hinsicht auf seine Kosten.

„Die weiße Hölle vom Piz Palü“ ist in seiner spektakulären Bild-Ästhetik ein bis heute faszinierendes Meisterwerk. Der deutsche Regisseur Arnold Fanck wurde damit 1929 zum Pionier des Bergfilms-Genres. Die Story ist dabei eher banal: Ein frisch vermähltes Paar, Maria (gespielt von der jungen Leni Riefenstahl) und Hans, trifft in einer Hütte unterhalb des Palü-Gipfels auf den traumatisierten Bergsteiger Dr. Johannes Krafft, dessen Gattin vor Jahren in eine Gletscherspalte stürzte und deren Leiche nie geborgen wurde. Gemeinsam brechen die drei auf, den Piz Palü über die Nordseite zu besteigen. Was auch ohne die sich anbahnende Liebelei zwischen Maria und Krafft ein gefährliches Abenteuer wäre.

Die melodramatische Geschichte war für Fanck nur Aufhänger, um die ebenso majestätische wie gefahrvolle Alpenwelt atemberaubend in Szene zu setzen. Sechs Monate dauerten die Dreharbeiten in den Bernina-Alpen. Fanck schuf grandiose Panoramabilder, filmte furchterregende Schneestürme und gewaltige Lawinenabgänge. Gespenstischer Höhepunkt ist der Abstieg der Bergretter in eine Gletscherspalte, wo bizarre Eisformationen, zuckende Fackellichter, wabernder Qualm und die schwarzen Figuren der Retter zum expressionistischen Höllengemälde werden. „Inferno“ verkündet passend der Zwischentitel.

Ruf als Avantgardist

Fanck galt fortan auch in den USA als Avantgardist des Films. Und man hätte sich, gerade heute, auch einen etwas experimentelleren Sound dazu gewünscht. Der Australier Ashley Irwin, der 1998 eine neue Musik für die restaurierte Originalfassung schuf, dosiert die subtil Spannung aufbauenden Passagen jedoch recht sparsam. Es gibt fein ziselierte Klangbilder, schöne lautmalerische Effekte, für jeden Protagonisten eine charakterisierende instrumentale Stimme. Doch gehen die leiseren Töne allzu schnell im großen dramatischen Score unter. Irwins Musik strotzt vor Kraft und Dynamik, womit er ganz dem Willen seiner Auftraggeber, ZDF und Arte, folgte. Die wünschten sich eine Musik, die „den mitreißenden Effekt vermittelt, den der Film zu seiner Zeit hatte“.

Für die Symphoniker bedeutete das eine enorme konditionelle Herausforderung, die das 60-köpfige Orchester unter Leitung von Frank Strobel bravourös und mit bewundernswerter Präzision meisterte. Wer Karten für die zweite (ausverkaufte) Vorstellung am Sonntag hat, darf sich jedenfalls auf ein filmisches und musikalisches Abenteuer freuen.

Dass Fanck auch ohne Story als Bergfilmer Hochspannung erzeugen konnte, bewies er bereits 1921 in seinem Frühwerk „Im Kampf mit dem Berge“. Die schwindelerregende Dokumentation einer Gipfelbesteigung steht am Sonntag (16 Uhr) in der Tafelhalle auf dem Programm. Dazu spielt ein Kammerensemble der Musikhochschule unter Leitung von gleich sechs jungen Dirigenten die Originalmusik von Paul Hindemith. In wärmere Gefilde entführt heute (19 Uhr, Tafelhalle) Friedrich Wilhelm Murnaus Südsee-Melodram „Tabu“, begleitet vom Ensemble Kontraste. Um 22 Uhr folgt mit „Das Cabinet des Dr. Caligari“ dann ein Meilenstein der Filmgeschichte, zu dem DJ D’dread seinen eigenen Soundcocktail mixt.

Infos zum kompletten Festival: www.stummfilmmusiktage.de

Keine Kommentare