"Ich bin selbst überrascht, was meine Figuren machen"

9.12.2017, 08:00 Uhr

© Birgit Ruf

Herr Maar, was war das schönste Kompliment, das Sie in letzter Zeit von Lesern oder Zuhörern bekommen haben?

Paul Maar: Kürzlich schrieb mir ein Mädchen, wenn ich kein neues Sams-Buch schreibe, würde sie sehr, sehr weinen. Das konnte ich ja nun wirklich nicht zulassen und habe ein neues Sams-Buch geschrieben.

Es geht also weiter mit der Sams-Reihe?

Maar: Nein. Für mich ist das nun erschienene Weihnachtsbuch das letzte. Aber ich habe schon nach dem fünften, dem sechsten und siebten Sams-Buch gesagt, es sei das letzte. Und ich habe das immer auch tatsächlich geglaubt.

Wie kam es 1973 zur Geburt des Sams?

Maar: Bei meinem ersten Sams-Buch war nicht das Sams die Hauptperson, sondern Herr Taschenbier. Ich habe übrigens vor einigen Wochen bei einer Lesung in der Nähe von Schweinfurt seinen Sohn kennengelernt. Es gab ihn nämlich wirklich. Er war ein Angestellter meines Vaters, der einen Handwerksbetrieb hatte. Das Büro war im Elternhaus. Dort war ein Mitarbeiter tätig. Und das war Herr Taschenbier, der im echten Leben natürlich anders hieß. Er war schüchtern, angepasst, leise und still, kontaktscheu gegenüber Erwachsenen, hat nie widersprochen, sich nie gewehrt. Und ich hätte ihm so gerne ein bisschen mehr Lebensfreude verschafft. Aber das kann man als Kind nicht. Man kann ihn aber als erwachsener Autor wiedererwecken und ihm ein freches Sams zur Seite stellen, das das genaue Gegenteil von ihm ist.

Wusste der Angestellte Ihres Vaters, dass er Vorbild für diese literarische Figur war?

Maar: Nein. Er ging in Rente, bevor das Sams-Buch herauskam, und ich hatte ihn aus den Augen verloren.

Ihr Vater hat nicht goutiert, wenn Sie gelesen haben. Wie hat Sie das geprägt? Sind Sie vielleicht auch deswegen Kinderbuchautor geworden?

Maar: Das war sicherlich auch ein Beweggrund. Ich denke schon, dass ich damit auch meine nicht vorhandene Kindheitslektüre nachgeholt habe, indem ich sie mir selbst geschrieben habe.

Wie kam es dazu, dass Sie 1968 Ihr erstes Kinderbuch auf den Markt brachten?

Maar: Ich habe meinen Kindern immer selbsterfundene Geschichten erzählt und kam irgendwann auf die Idee, die mal aufzuschreiben und an einen Verlag zu schicken.

Und das ging so einfach?

Maar: Ja, das Manuskript zum "Tätowierten Hund" landete beim Oetinger-Verlag und der hat das erstaunlicherweise gleich gedruckt. Ich hatte ja vorher schon für Erwachsene geschrieben, Hörbücher und Gedichte zum Beispiel. Als das Kinderbuch erschien, hatte ich schon die ersten 30 Seiten für einen Roman für Erwachsene in der Schublade. Mein Verleger hat mich aber quasi dazu gezwungen, weiter Kinderbücher zu schreiben.

Wie?

Maar: Indem er das erste Manuskript nicht gedruckt hätte, wenn ich nicht versprochen hätte, weiter Kinderbücher zu schreiben.

Ab wann konnten Sie vom Schreiben leben?

Maar: Nach dem zweiten Theaterstück "Kikerikiste". Das wurde 1973 an drei Orten – in Wien, Hamburg und Bonn – zur gleichen Zeit uraufgeführt. In der nächsten Spielzeit wurde es schon von zwölf anderen Theatern gespielt, dann von 20, dann ging es ins Ausland. Ich habe auf jeden Fall am Anfang durch mein Theaterstück mehr verdient als durch meine Bücher. Aber nachdem auch das Sams so gut lief, war der Zeitpunkt gekommen, meine Stelle als Kunsterzieher am Gymnasium aufzugeben und mich ganz aufs Schreiben zu werfen.

Kennen Sie so etwas wie Schreibblockaden?

Maar: Ja, sowas gibt es fast bei jedem Buch, selbst noch beim 55. Bei den ersten Büchern bin ich in Panik geraten und dachte: Jetzt ist alles weg, was ich an Phantasie in mir hatte. Inzwischen bin ich gelassen und sage mir: Ah, da ist sie wieder, die gute alte Schreibblockade. Wollen wir doch mal schauen, wer’s länger aushält: Du oder ich. Ich gehe dann spazieren, überlege, lese den Text nochmal und plötzlich merke ich ganz genau, woran es hapert.

Haben Sie Sorgen, dass Ihnen jemals die Ideen ausgehen?

Maar: Nein, aber ich merke mit zunehmendem Alter, dass alles ein bisschen langsamer geht. Die Gedanken, die vorher durchgeschossen sind, gehen jetzt ganz gemütlich. Ich bin sehr dankbar, wenn ich eine neue Idee habe. Früher hatte ich zwei oder drei gleichzeitig und musste mich entscheiden, welche ich bearbeite.

Und welche Idee ist gerade da?

Maar: Nächstes Jahr wird ein Buch erscheinen mit dem Titel "Snuffi Hartenstein". Von geplanten 48 Doppelseiten sind schon mehr als die Hälfte geschrieben. Es wird eine Mischung aus Erzählung und Graphic Novel. Vieles wird in der Geschichte, die sich um unsichtbare Freunde dreht, durch Bilder erklärt.

Wie muss man sich einen Arbeitstag von Paul Maar vorstellen?

Maar: Wenn ich schreibe, ziehe ich mich zurück. Aufs Land oder ins Ausland. Erstaunlicherweise kann ich immer am besten schreiben, wenn ich nicht in Deutschland bin. Das neue Sams-Buch zum Beispiel hab ich auf der Insel La Gomera geschrieben. Am Anfang schreibe ich immer alles mit der Hand, so die ersten zehn Seiten, dann übertrage ich das in den PC, ändere schon ein bisschen was und bleibe jeden Tag dabei, bis ich durch bin und ENDE unter das Manuskript schreiben kann. Dann lass ich den Text vier Wochen liegen und korrigiere ihn nochmal.

Wie viel ist beim Schreiben spontaner Einfall, wie viel harte Tüftelarbeit?

Maar: Man hat eine ungefähre Ahnung, wo die Geschichte hingehen wird, und vielleicht auch, wie sie endet. Aber der Rest ist Intuition. Man sitzt am Schreibtisch und ist selbst überrascht, was die einzelnen Figuren sagen oder machen.

Haben Sie unter Ihren ganzen literarischen Figuren auch ein "Lieblingskind"?

Maar: Es ist vielleicht Lippel aus "Lippels Traum", weil er auch so ein Träumer ist wie ich einer war als Kind. Deswegen ist er mir sehr nahe.

Stört es Sie, dass Sie oftmals nur auf den "Sams"-Autor reduziert werden?

Maar: Ach, das ist ambivalent. Ja, ich bin der Sams-Autor. Aber ich habe eben auch noch 56 andere Bücher geschrieben und die liegen mir mindestens genauso am Herzen. Andererseits ermöglicht mir der Verkauf der Sams-Bücher ein sorgenfreies Leben. Die anderen Bücher verkaufen sich zwar auch, aber eben nicht Millionen Mal. Im Ausland bin ich übrigens gar nicht so sehr als der Sams-Autor bekannt. Meine Bücher sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt, zum Beispiel ins Thailändische, Japanische oder Türkische. Aber am wenigsten die Sams-Bücher.

Weil die am schwersten zu übersetzen sind?

Maar: Ja. Übrigens auch optisch: Im Arabischen hat das Sams eine Clownsnase. Denn das Schwein gilt im Islam als unreines Tier. Man kann den arabischen Kindern doch keine Figur vorsetzen, das eine Nase hat wie ein Schwein.

Sie sind ein lustvoller Sprachbastler und -jongleur. Wann sind diese Liebe und dieses Talent in Ihnen erwacht?

Maar: Eigentlich von Anfang an. Das hat mir schon immer Spaß gemacht, mit Sprache zu spielen. Sie ist mein Material. Im Moment kommt’s mir fast mehr auf den Rhythmus und die Sprache an als auf den Inhalt. Ich spiele mit Bindestrichen an der falschen Stelle wie etwa in Wasse-Reimer, Blumento-Pferde, Hoffen-Sterchen oder Ruma-Roma und Wandan-Strich.

Wie hat sich Ihrer Erfahrung nach das Leseverhalten der Kinder in den vergangenen 50 Jahren verändert?

Maar: Die einzigen, die noch fast genauso viel lesen wie früher, sind die Mädchen. Bei den Jungen nimmt das immer mehr ab. Auf dem Kinderbuchmarkt steigen die Verkaufszahlen dennoch von Jahr für Jahr ein wenig. Das liegt daran, dass die Kinder, die lesen, sehr viel mehr lesen als früher. Die verschlingen vier bis fünf Bücher in der Woche.

Was wünschen Sie sich zum Geburtstag am kommenden Mittwoch?

Maar: Ach, ich bin da sehr bescheiden. Ich könnte natürlich sagen, mein Wunsch wäre, dass es Frieden auf der Welt gibt. Aber das ist natürlich eine hohle Phrase, denn das kann ich mir zehn Mal wünschen und trotzdem wird es nicht passieren. Ich hab’ einen ganz banalen, einfachen Wunsch und ich nehme an, meine Kinder werden mir den erfüllen: Ein Smartphone mit mehr Speicherplatz.

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