Innenansichten einer Familie zum Fürchten

12.10.2017, 10:20 Uhr
Innenansichten einer Familie zum Fürchten

© Foto: X-Verleih

Hanekes neuer Film steckt voller Bezüge zu seinen bisherigen Filmen – von den kühl beobachtenden Video-Aufnahmen, die man zu Beginn sieht, bis zu den Namen und weitergesponnenen Schicksalen seiner Protagonisten.

Georges Laurent hieß in Hanekes Thriller "Caché" ein populärer TV- Moderator, der sich als Kind an einem algerischen Gastarbeiterjungen schuldig machte und von seiner Vergangenheit eingeholt wird. In "Happy End" ist dieser Georges Laurent (Jean-Louis Trintignant) nun ein alter, des Lebens überdrüssiger Patriarch, in dessen Haushalt einem marokkanischen Ehepaar ganz selbstverständlich die Rolle niederer Dienstboten zufällt.

Porno-Chat mit einer Cellistin

Den Betrieb des Laurent’schen Bauunternehmens führt inzwischen Tochter Anne (Isabelle Huppert), ihr depressiver Sohn Pierre (Franz Rogowski) verweigert sich radikal als Nachfolger, und Georges’ Sohn Thomas (Mathieu Kassovitz), ein Chirurg, der mit seiner zweiten Ehefrau scheinbar glücklich verheiratet ist, pflegt im Internet einen pornografischen Chat mit einer Cellistin.

Als seine Ex-Frau wegen einer Überdosis Antidepressiva ins Krankenhaus muss, zieht auch die bislang bei ihr lebende 13-jährige Tochter Eve (Fantine Harduin) in die feudale Villa in Calais und komplettiert einen Familienclan, der sich in seinem egozentrischen Denken längst jeder Moral entledigt hat. "Willkommen im Club" heißt der greise Georges die verschlossene Eve willkommen, als würde er ahnen, wie sehr auch die Gefühle dieses Mädchens, das seinen Hamster mit den Tabletten der verhassten Mutter vergiftet hat, erkaltet sind.

An Eve wird deutlich, wie die Abwesenheit von Liebe in die emotionale Vergletscherung führt. Haneke zeigt das als ein Kaleidoskop der menschlichen Verkommenheit, das bei allem Sarkasmus auch von seiner tiefen Wut auf eine Gesellschaft zeugt, in der die Eliten sich blind verhalten gegenüber der Welt um sie herum.

Verlogene Gastfreundschaft

Bei einem Erdrutsch auf einer Großbaustelle des Unternehmens wird ein Arbeiter schwer verletzt. Natürlich wird der Fall hinter den Kulissen geregelt. Natürlich hat Haneke hat den Film nicht ohne Grund in Calais angesiedelt. Nur zweimal rückt er die Flüchtlinge, deren Camp 2016 geräumt wurde, ins Bild, was der Wahrnehmung der Laurents entspricht und ihre Ignoranz zugleich umso bewusster macht. Als Pierre  mit ein paar Afrikanern zur Verlobungsfeier seiner Mutter im Nobelrestaurant anrückt, wandelt Anne die "Peinlichkeit" in eine verlogene Geste der Gastfreundschaft um.

"Happy End" ist eine gnadenlose Abrechnung mit der Spaltung der westlichen Welt in Mächtige und Machtlose und wird dabei streckenweise fast zur groteken Komödie. Auf sein erstklassiges Ensemble kann der österreichische Filmemacher dabei voll vertrauen.(F/A/D/107 Min.)

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