ION: Kunsthandwerklicher Edelkitsch

14.6.2010, 00:00 Uhr
ION: Kunsthandwerklicher Edelkitsch

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Wieder so ein Fall, wo der interpretatorische Aufwand umgekehrt proportional zum künstlerischen Ertrag verlief. Die Orgelwoche hatte mit Hilfe des BR Deutschlands führenden Countertenor Andreas Scholl, den formstarken Orpheus Chor aus München (Leitung: Gerd Guglhör), das hauseigene Rundfunkorchester unter der arrivierten estnischen Dirigentin Anu Tali, eine japanische Taiko-Trommel und sogar Lichtdesign in St. Sebald auffahren lassen.

Süffiger und weichgespülter Wabersound

Der Komponist und Keyboarder Roland Kunz, der sich als Countertenor Orlando nennt, erhielt den Auftrag, mit einem abendfüllenden Werk in die spirituelle Welt Meister Eckharts einzuführen. Er mischte mittelhochdeutsche, lateinische und deutsche Zitatfragmente (und vergass nicht bei jedem von ihm gelesen Halbvers auf die eigene »Bearbeitung« zu verweisen).

Mit seinem tonal eingängigen, ja geradezu süffigen und weichgespülten Wabersound, den Frank Zabel in eine spielbare Form gebracht hatte, arbeitete er sich an den ausgewählten Sentenzen ab. Die Seele als eigentlicher Sitz der Göttlichkeit war das Thema und das wird etwa in der Nummer »Zerginge das Feuer« sogar mit einem heftigen Querverweis auf die »Dies irae«-Sequenz beschworen.

Überirdische Legatobögen

Es wird deklamiert, akklamiert, herzerweichend gesäuselt und die beiden Gesangssolisten schmeicheln mit überirdischen Legatobögen. Allein: Das ganze, in die eigene begrenzte Erfindungsgabe verliebte Opus lässt eben jene Seele vermissen, die es vorgibt zu besingen. Das können selbst eine tolle Taiko-Nummer, das belanglose Lichtbad und die hervorragenden Ausführenden nicht kaschieren. Am Ende Beifall für kunsthandwerklichen Edelkitsch, der einer Orgelwoche ziemlich unwürdig war.

Auch wenn man inzwischen vermutet, dass Bach die »Goldbergvariationen« nicht gegen die Schlafstörungen des Grafen Keyserling komponiert hat, zur Beruhigung der negativ wie positiv erregten Gemüter nach der ION-Uraufführung »Der Seele Ruh‘« tags zuvor taugten sie allemal.

Joseph Rheinberger und Max Reger hatten mit der unbekümmerten Hand des 19. Jahrhunderts eine Version für zwei Klaviere geschaffen. Die stellte das Münchner Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuysen samt seiner neuen CD jetzt auch in Nürnberg vor: Der Aufseßsaal im Germanischen Nationalmuseum war nahezu ausverkauft.

Duettierende Klaviere

Man konnte sehr gut hören, was Rheinberger/Reger bewogen hatte, Hand an Bach zu legen: Die attraktive Verteilung des Noten- und Themenmaterials auf zwei duettierende Klaviere und die Verdichtung des polyphonen Gewebes.

Die Arie im Sarabandenrhythmus jedenfalls geriet auf den beiden Steinways wie ein innig-barockes Duett in der Bedeutungsschwere des 19. Jahrhunderts. Was dann in den Dreiergruppen der 30 Variationen folgt, ist streckenweise ein üppiges Klavier-Klang-Fest. Bei dem wirkt nur weniges unangenehm überfrachtet mit übertriebenem Verzierungswitz oder grummelnd rollenden Läufen: interessant, aber hinter dem konzisen Original zurück.

Natürlich haben Tal und Groethuysen recht, wenn sie gerade solche Veränderungen betonen – dafür haben sie die Bearbeitung ja ausgegraben, spielen als inzwischen weltweit führendes Klavierduo zudem mit Stilsicherheit und unbeirrbarem Geschmack: Bach durch die Brille der Gründerzeit betrachtet.