Kahchun Wong schürte die Vorfreude

23.10.2017, 18:40 Uhr

Ja, dieses Erlanger Konzert war ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass sich die Symphoniker freuen dürfen, wenn der gebürtige Singapurer in der nächsten Saison als Chef an ihr Pult tritt. Wong zeigte, dass er ein hervorragendes Gespür hat für jene mitreißenden, zu Herzen gehenden emotionalen Valeurs der Musik, die nicht nur zentrales Kennzeichen romantischer Werke sind. Wong, der bereits von Mahler-Wettbewerbs-Erstgewinner und Weltstar Gustavo Dudamel als Fellow in Los Angeles unter die Fittiche genommen wurde, spannte geschickt einen großen Bogen von Haydns Trauersinfonie über Tschaikowskys "Romeo und Julia"-Fantasie bis zu dessen "Pathétique".

Haydns zur Entstehungszeit als revolutionär neu empfundener Sinfonie Nr. 44 gab der sehr körperbetont dirigierende Wong viel juvenile Spannkraft. Die hervorragende Streicherkultur der Bamberger, die wunderbar weichen Akzente ihrer Holzbläser taten ein Übriges, Wongs federnde Rhythmik erfüllte das klassische Ebenmaß der Kompositionsstruktur mit Vitalität, in der sich die Schwermut des Adagios (das sich Haydn für seine eigene Beerdigung wünschte und das dem Werk seinen Beinamen gab) umso berührender abhob.

Doppelt gebrochen – durch zeitgenössische Kompositionstechnik und ihr heutiges Vergessen-Sein – wirkten die fränkischen Tänze, die Walter Zimmermanns Miniatur "Äthermühle" rhythmischen Halt gaben. Ursprünglich fürs "Zugaben"-Format der Bamberger geschaffen, wirkte der Vierminüter des in Schwabach geborenen und u. a. in Nürnberg ausgebildeten Zimmermann als Einschub zwischen Haydn und Tschaikowsky wie ein Kuriosum – dem Wong gleichwohl hellwache Präsenz gab.

Danach entfaltete Wong den Mikrokosmos von Tschaikowskys "Romeo und Julia"-Fantasie (gespielt wurde die zweite Fassung, die sich von der dritten vor allem zum Ende hin unterscheidet) mit sicherem Gespür für die dramatische Spannung zwischen den aggressiven Motiven des Kampfes der Familien Capulet und Montague sowie dem hinreißend lyrischen Thema, das die Flucht von Shakespeares weltberühmten Liebespaar in den gemeinsamen Tod verklärt.

Die größte Intensität sparte Wong sich fürs Finale auf: Tschaikowskys 6. Sinfonie, uraufgeführt wenige Tage vor dem Tod ihres Schöpfers. Deshalb wird sie wohl auf ewig im Interpretationsrahmen des Autobiografischen, der Antagonismen und dem Leid im Leben Tschaikowskys verhaftet bleiben. Wong entwickelte aus der elegischen Stimmung des Kopfsatz-Beginns geschickt jene Streicheragitationen, die der Musik innere Spannung und Zerrissenheit geben. In den schmerzerfüllt-schönen Passagen des Seitenthemas blieb diese Aufgewühltheit stets spürbar, als befreiende Explosion wirkte das Fugato, doch schließlich siegte eine Schwermut, deren melancholische Süße wie vergiftet wirkte.

Dämonischer Marschrhythmus

Wehmütig sehnsuchtsvoll blieb der Walzer des 2. Satzes, ihm gaben Wong und die Bamberger auch charmante Noblesse, bevor im Allegro molto vivace die Stimmung kippte. Den treibenden Marschrhythmus steigerte Wong zu einer triumphalen Geste, deren Glanz etwas Dämonisches und Erdrückendes hatte. Das riss mit, das brachte aber auch die kompakte, nicht unproblematische Akustik der Ladeshalle an ihre Grenzen.

Der folgende langsame Finalsatz, in dem sich die Musik ins Private, in den Schmerz der Einsamkeit und der Selbstzweifel zurückzieht, ging nach den vorherigen furiosen Stürmen umso mehr zu Herzen. Es war, als würde jede Instrumentengruppe nochmals mit Wehmut Abschied nehmen von der Schönheit des Lebens. Die Nürnberger und die Musikfreunde der Region aber dürfen sich freuen, dass sie Kahchun Wong bald viel öfter begrüßen werden dürfen.

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