Köln: Ein "Tatort" mit Biss - trotz Betroffenheitsblick

26.3.2017, 21:45 Uhr
Bei den Nachbarn des Toten versuchen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) hinter die Fassaden zu blicken.

© WDR/Martin Menke Bei den Nachbarn des Toten versuchen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) hinter die Fassaden zu blicken.

Der "Tatort" ist die unumstößliche heilige Kuh der sonntäglichen Fernsehunterhaltung. Seitdem 1970 das berühmte "Taxi nach Leipzig" fuhr, machten sich in über 1000 weiteren Folgen die unterschiedlichsten Ermittler-Typen an die Arbeit. Die Kölner Kommissare Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) können gewiss zu den eher unaufgeregt zu Werke gehenden Fahndern gezählt werden. Wilde Schlägereien oder hanebüchene Verfolgungsjagden finden in der Domstadt selten statt.

Die ergrauten Cops - inzwischen seit stolzen siebzig Episoden Teil dieser öffentlich-rechtlichen Erfolgsstory - überführen die Täter vorwiegend mittels äußerst penetranter Verhörrunden. Im Zusammenspiel mit ihrem unnachahmlichen Betroffenheitsblick weichen Schenk und Ballauf die Fassade eines jeden noch so fiesen Schurken auf und können ihm schließlich am Ende der 90 Minuten die Handschellen umlegen.

Nicht ohne aber zuvor den ersten, obligatorischen Verdächtigen, dessen Alibi sich meistens nach etwa einer Stunde dann doch verfestigt, wieder auf freien Fuß gesetzt zu haben. Manche mögen das zuweilen für ziemlich spröde halten. Andere wiederum lieben diese Art des Ermittelns und diese traditionelle Krimi-Variante. Weil die Befürworter klar in der Mehrzahl sind, gehört der "Tatort"-Ableger aus Köln zu den beliebtesten.

Täter hinter Hecken

Die zugrundeliegende Geschichte in "Nachbarn" läuft nach eben diesem bewährten Rezept ab und wird die Fans der rheinischen Kommissare erfreuen. Mitten in der Nacht wird Werner Holtkamp von einer Brücke geworfen und von einem Lastwagen überrollt. Der vor Schreck kreidebleich gewordene Brummifahrer muss sich direkt übergeben. Dass der geschiedene Mittvierziger bereits tot von der Überführung fiel, vermag den Brechreiz des Lenkers kaum zu lindern. Holtkamp bekam zu Hause dermaßen übel eins über die Rübe gezogen, dass er direkt in seinem mit Folie überzogenen Bett verstarb.

Max und Freddy beginnen also mit ihren Ermittlungen. In einem schicken, alten Ford-Kombi steuern sie das Anwesen des seit seiner Scheidung alleine lebenden Verstorbenen an. Doch in der idyllischen Einfamilienhaus-Siedlung am Kölner Stadtrand, die eigentlich in einem Leverkusener Vorort liegt, stoßen die Beamten nicht nur auf akkurat geschnittene Hecken und weiß gepinselte Häuserfassaden. Die Menschen, die hinter diesen akkurat geschnittenen Hecken und in den weiß gepinselten Häuserfassaden leben, präsentieren sich arg wortkarg und somit wenig auskunftsfreudig. Aber das wären wir auch, würden wir derart Dreck am Stecken haben.

Zeit für den Betroffenheitsblick

Allerhöchste Zeit, den über die Jahre perfektionierten Betroffenheitsblick aus der Hosentasche zu kramen und zu neuerlichen Befragungsrunden zu laden. Die finden diesmal jedoch nicht auf dem Revier, sondern hauptsächlich in den Häusern der Nachbarn statt. Bei den Voigts, den Scholtens und Familie Möbius, wo Vater Möbius eine Echse im Keller hält. Um sie kümmert er sich mit weitaus größerer Fürsorge, als um seine Ehefrau, die sich deshalb aus Frust betrinkt und dabei ekstatisch durch das Wohnzimmer tanzt.

Weil die Grundstücke der verdächtigen Familien jeweils nur durch einen Maschendrahtzaun voneinander getrennt sind, können Max und Freddy innerhalb von nur wenigen Sekunden bequem von einem Verhör zum nächsten schlendern. Das spart Zeit und Sprit. Schließlich frisst Freddys alter Karren jede Menge davon.

Krimi mit Biss

Anders wie in dem vor einiger Zeit ausgestrahlten "Wendehammer", wo man ebenfalls zwischenmenschliche Beziehungen von nahe beieinander lebenden Menschen in einer Vorortsiedlung inspiziert, sie aber äußerst skurril abbildet, verzichtet "Nachbarn" auf jegliche Schrägheit. Der 70. Fall von Ballauf und Schenk will grummelig sein und ist es auch. Die Voigts, die Scholtens und das Ehepaar Möbius zeigen sich zunächst als ganz normale Leute in einem ganz normalen Umfeld. Sie leben ihr Leben und erfüllen Rollen – als Einzelne, in der Familie, als Nachbarn.

Das ist die äußere Schicht. Darunter liegen ihre Sehnsüchte und Träume und – sorgsam verpackt – ihre Ängste und inneren Konflikte. Obwohl der Mord ihr Zusammenleben als Nachbarn kollabieren lässt, halten sie verzweifelt an ihren Rollen fest. Stück für Stück legen Ballauf und Schenk aber die verschiedenen Schichten des komplexen Miteinanders der Nachbarn frei. Zutage tritt etwas Tragisches: die Isolation des Einzelnen.

Auch wenn die Geschichte am Ende etwas aus dem Ruder gerät und man nahe dran ist, die Übersicht zu verlieren, zählt "Nachbarn" gewiss zu den besseren Kölner Fällen. Die Tätersuche verläuft gewohnt bedächtig. Sie ist jedoch frei von Langeweile. Vor allem liegt das an den vorwiegend prominent besetzten Episoden-Darstellern, die wieder mal ein Werner Wölbern in der Rolle von Vater Voigt anführt. Er und seine Kollegen drücken dem schick in Szene gesetzten Film von Torsten C. Fischer ihren Stempel auf. Damit besitzt "Nachbarn" immerhin mehr Biss als die matschigen Pommes, die Max und Freddy während der Fahndung verspeisen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare