Liebe in wackeliger Seelenlandschaft

26.7.2015, 19:30 Uhr
Liebe in wackeliger Seelenlandschaft

© Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

Der „Tristan“ verdankt seine Geburt einer Midlife-Crisis: Richard Wagner hatte sich nach mehreren Wiederannäherungsversuchen endgültig von seiner Frau Minna getrennt, die Affäre mit Mathilde Wesendonck war in einem Skandal geendet und am Horizont tauchte bereits eine Cosima von Bülow, geborene Liszt, auf. Das Musikdrama ist aber auch das Ergebnis eines Emanzipationsprozesses: Wagner wird unabhängiger von seinem Übervater Schopenhauer. Der hatte den Trieb stets als Quertreiber des Willens gegeißelt und deshalb die Askese gepredigt. In Wagners „Handlung“ (es ist sein abstraktestes Werk überhaupt) vollzieht sich der Wille jedoch eben durch den Trieb.

Genau 150 Jahre ist es her, dass das prägende Stück in der Münchner Hofoper uraufgeführt wurde. Unglaubliche 68 Proben genügten nicht, das Orchester zu überzeugen. In vorderster Front opponierte ein Hornist gegen den „unspielbaren Wagner“: Franz Strauss, Vater von Richard . . .

Thielemann, der Kopf-Dirigent

All das machen Christian Thielemann und das Festspielorchester vergessen: Mit dem intensiven Vorspiel beginnt ein dialogisches, farbenreiches Musizieren, das sich immer wieder problemlos zwischen den Polen orgiastische Eruption und lyrische Versenkung auspendelt. Man hört deutlich, dass der Dirigent die Partitur dreizehn Jahre aus der Hand gelegt hatte: Seine frühere Stop-and-go-Attitüde, also das plötzliche Handbremsen, um anschließend wieder Attacke zu reiten, ist völlig passé.

Oft ist dem Berliner vorgeworfen worden, er sei ein reiner Bauch-Dirigent. Aber hier ist der Kopf-Dirigent Thielemann zu erleben, der Detailreichtum mit einem flüssigen Gesamtkonzept zu verbinden weiß. Die Zeiten des Langsamkeits-Pathetikers scheinen vorbei. Wie er Dinge vorbereitet, Akkordverflechtungen in Beziehung treten lässt und dabei noch einen durchgehend schönen Klang erzielt, der sich so gar nicht in permanenten Schönklang auflöst, das ist dirigentische Sonderklasse.

Zuweilen gerät Thielemanns Frischzellenkur sogar in Gegensatz zur Regie. Die verblüfft mit einem erstaunlich gut durchgearbeiteten ersten Akt. Ein von M. C. Escher, noch mehr von Piranesi inspiriertes Treppenlabyrinth tut sich auf. Die Absicht ist klar: Alle Wege enden im Nirgendwo, Ausweglosigkeit, wohin das Auge blickt. Katharina Wagner und ihren Bühnenbildnern Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert ging es um die Offenlegung innerer Räume, eine Seelenlandschaft in 3-D sozusagen.

Da klappt schon mal ein Steg weg oder entpuppt sich eine Ebene als Hubbühne. Als Tristan die Szene betritt, vermehren sich die Labyrinthe noch. Bereits im ersten Moment sind Isolde und er entflammt. Wobei die Vertrauten der beiden, Brangäne und Kurwenal, gerade das zu verhindern suchen. Was braucht‘s da noch den Zauberliebestrank? Hinfort damit.

Die Liebesnacht im Garten findet in einem Verlies statt, in das Wärter mit Suchscheinwerfern hineinleuchten. Kein Rückzugsort, selbst wenn Isolde versucht, eine Geborgenheitsnische zu errichten. Doch Tristan findet das lächerlich. Auch ein Entweichen ist nicht möglich, die Klettersteige erweisen sich als Attrappen. Ein Gestänge mit dem Charme eines Fahrradständers ist Käfig und Folterinstrument zugleich. Es ist Markes martialisches Reich. Der König ist hier kein duldsamer Entsager, sondern ein tyrannischer Strippenzieher. Und so ist es eigentlich nur folgerichtig, dass Isolde am Ende keinen Liebestod erleidet, sondern „mild und leise“ eine Art Liebesverklärung darstellt, nach der sie Marke in eine neue Zukunft folgen muss.

Eine Prise Kitsch

Trotz dieser gelungenen Umdeutung liegen große Schwächen in diesem 3. Akt. Einerseits freut man sich, dass Tristan nicht so ein langweiliges Endlos-Siechtum hinlegen muss, wie in der unterkühlt-öden Marthaler-Vorgängerproduktion. Hier lebt Tristan seine Fieberträume aktiv aus. Alles spielt in einem schwarzen Nicht-Raum, in dem immer wieder Dreiecke als Symbol für das Beziehungsgeflecht Isolde-Tristan-Marke aufscheinen. Doch das Ganze wirkt eher kunsthandwerklich. Ganz in den Kitsch rutscht das Geschehen, als Isolde einen liliengeschmückten Katafalk samt Schwertkreuz für Tristan errichtet. Eine schöne Leich’ soll ihr Liebling schon sein . . .

Stimmlich und von der Mentalität her passen aber die beiden Liebenden kaum zusammen: Stephen Gould singt Tristan traumwandlerisch sicher, der mörderisch anspruchsvolle 3. Akt geht scheinbar spurlos an ihm vorüber: Ein Muster an Gesangsökonomie, aber der Mann aus Virginia ist leider auch ein sparsamer Darsteller mit dem Charme eines Bankberaters.

Anders stehen die Dinge bei Evelyn Herlitzius, die durch ihr Einspringen vor vier Wochen erst das ganze Unternehmen rettete: Sie flog als Elektra von den Münchner Opernfestspielen ein und trug diesen hochdramatischen Überdruck des Racheengels auch in die Isolde-Partie. Die erhielt dadurch zwar eine Menge Temperament, aber die Isolde-Zeiten sind für Herlitzius eindeutig vorbei. Ihre Stimme ist zu scharf, zu metallisch, als dass sich eine gute Vokalmischung mit Tristan einstellen konnte. Sollte sie alle Hügel-Auftritte durchstehen, müsste der nächste Weg zum Gesangscoach führen, der ihren tiefen Sopran wieder in den richtigen Fokus bringt.

Christa Mayers Brangäne hat „Habet Acht“-Strahlkraft. Absolut wortverständlich und zwingend: Georg Zeppenfelds König Marke. Das hochklassige Ensemble komplettieren der aparte Iain Paterson und als erster türkischer Sänger in Bayreuth Tansel Akzeybek. Christian Thielemann kassierte bei allem Beifall auch ein paar Buhs, Katharina Wagner und ihr Team verbeugten sich nur einmal. Sie standen derart in der „Tiefe des Raums“, dass ein Großteil des Publikums sie wohl gar nicht erkannte.

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