Meister des Verwirrspiels

13.5.2015, 13:00 Uhr
Meister des Verwirrspiels

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Eine Geschichte entwickelt sich durch das Erzählen, sagt der schwedische Autor Klas Östergren (Jahrgang 1955), der vor wenigen Monaten als Juror in das Komitee zur Verleihung des Nobelpreises berufen worden ist. In Schweden gilt er als einer der größten Erzähler unserer Zeit. Sein neues Buch „Ins Licht gerückt“ enthält drei Geschichten, in denen jeweils eine tragende Figur entwickelt wird, die in einem kontrastreichen Mittelpunkt steht. An ihrer Existenz soll nicht gezweifelt werden.

Da erschüttert zum Beispiel ein Skandal um eine Europa-Abgeordnete aus Stockholm die Öffentlichkeit. Die Namenlose, die lediglich als „Eva“ bekundet wird, hat in Brüssel eine Bank überfallen und 500 000 belgische Francs entwendet, heißt es. Eva ist die Frontfrau ihrer Partei, die ein Anti-Korruptionsgesetz durchsetzen will. Es gibt gute Gründe, sie kalt zu stellen. Die Nachricht eines Bankraubs kommt wie gerufen.

Sie habe sich rein zufällig in der Bank befunden, beeidet Eva, als ein Bewaffneter eingedrungen war und die Kunden zwang, sich auf den Boden zu legen, bis das Geld ausgehändigt war. Neben Eva, der Parlamentarierin, sieht sich eine verstörte ältere Frau bedroht, der die Politikerin detailliert erzählt, was sich in den kommenden Minuten abspielen wird. Die Fakten stimmen mit den Ereignissen genau überein.

Es ist eine völlig überdrehte und absurde Story. Dennoch lässt der Leser sich auf sie ein. Auf ebenso unterhaltsame wie vergnügliche Weise gelingt es Östergren, immer wieder zu verblüffen. Dies bestätigt sich vor allem in der zweiten Geschichte, worin der schweigsame Bernie seinen Lebenslauf preisgibt. Er sei beim 41. Wasa-Lauf 1964, als das 90 Kilometer-Rennen noch im vollen Gang war, vor dem Fernsehapparat gezeugt worden. Es ist ihm peinlich, darüber zu sprechen. 35 Jahre später aber überwältigt ihn der Drang zur Mitteilung.

Die dritte und letzte Geschichte des Buches, das „Roman“ genannt wird, kreist um eine Sammlung von Gegenständen, die für ein Museum inventarisiert werden sollen. Dazu sollen Hintergrund-Gespräche geführt werden. Östergren, der Erzähler, wirbt den Kollegen Roger an, der TV-Serien schreibt.

Roger begibt sich nun im Auftrag zu einer Familie in Stockholm, die im Begriff ist, ihr Haus zu verkaufen. Die Ursachen für den Verkauf werden in der wachsenden Strahlenbelastung der Stadt gesehen. Um den Preis nicht zu drücken, werden völlig andere Überlegungen vorgeschoben, die fehlende Morgensonne zum Beispiel. Die Familie will sich auf die wahren Gründe nicht einlassen. Aus der Lüge wird eine Überlebenslüge. Das Ende bleibt offen.

Östergren erweist sich als Meister des Verwirrspiels, der nur das Ziel hat, Belletristik zu schreiben, wie er es begründet. Von seinem neuen Buch lässt man sich gern in die Fantasieräume der Literatur entführen. Drei im besten Sinn überraschende Geschichten begründen die Notwendigkeit einer Lüge als wahre Überlebens-Kunst. Es ist ein literarisches Vergnügen.

Klas Östergren: Ins Licht gerückt. Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. Kein & Aber Verlag, Zürich / Berlin. 286 Seiten, 22,90 Euro.

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