Mord an einem Flüchtling: Eindrucksvoller "Tatort" aus Luzern

5.7.2015, 22:00 Uhr
Liz Ritschard (Delia Mayer) und ihr Kollege, der Drogenfahnder Franz Hofstetter (Andreas Krämer, Mitte), stürmen eine Wohnung. Auf die erhoffte Spur von dem ermordeten Ebi bringt sie diese Aktion aber nicht.

© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler Liz Ritschard (Delia Mayer) und ihr Kollege, der Drogenfahnder Franz Hofstetter (Andreas Krämer, Mitte), stürmen eine Wohnung. Auf die erhoffte Spur von dem ermordeten Ebi bringt sie diese Aktion aber nicht.

In Luzern da gibt's koa Sünd. Denkt man so als Außenstehender. Stimmt aber nicht, denn regelmäßig zeigen uns die schweizer "Tatort"-Macher, dass auch in der Stadt am Vierwaldstättersee sehr viel zum Himmel stinkt. Vielleicht liegt's ja grad an der pittoresken Kulisse, die dem ein oder anderen Bewohner nicht gut bekommt, weil er dauernd draufstarren muss und dieses permanente Hinglotzen in ihm ein Gefühl der Säuerlichkeit entflammt. Möglich ist schließlich alles. Schönheit, die weh tut. Quasi.

Wie wir nun wissen, werden also auch in der Ortschaft in der Zentralschweiz Handtaschen geklaut, Taxifahrer überfallen und manchmal auch Menschen gewaltsam um die Ecke gebracht. So wie der erst 18 Jahre alte Ebi (Charles Mnene), der aber noch nichts von seiner Bestimmung weiß. Der Nigerianer ist ein sogenannter UMF, ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der seit zwei Jahren in der Schweiz lediglich geduldet wird und sein Dasein in einem heruntergekommenen Wohnheim mit Stockbetten und Krankenhausbeleuchtung fristet. Mit Erreichen der Volljährigkeit darf der Junge schließlich offiziell abgeschoben werden. Um diesem Schicksal zu entgehen, taucht Ebi unter, erledigt kleinere Jobs für Landsleute in der Baselstraße, Luzerns Problembezirk, in dem Prostitution und Drogengeschäfte an der Tagesordnung sind.

Weil Ebi nun eines Morgens mit einer tiefen Stichwunde in der Brust tot aufgefunden wird, vermuten Flückiger (Stefan Gubser) und Kollegin Ritschard (Delia Mayer) zunächst auch eine reine Auseinandersetzng zwischen rivalisierenden Dealern. Das Problem ist nämlich bekannt. So weiß Franz Hofstetter (Andreas Krämer) von der Drogenfahndung: "Der schweizer Konsument will seinen Stoff jederzeit haben." "Genau das", so der inzwischen leidlich abgestumpfte Kriminaler weiter, "führt dazu, dass es nur so von Dealern auf der Straße wimmelt". Flückiger nickt mit dem Kopf.

Beim Besuch im abgewrackten Wohnheim, in dem Ebi bis vor seinem Verschwinden untergebracht war, lernen die Cops Zimmerkollege Navid (Rauand Taleb) und das wortkarge Mädchen Jola (Marie-Helene Boyd) kennen. Sie stammt wie Ebi aus Nigeria, entpuppt sich im Laufe des Falls als dessen Schwester, und soll ebenfalls abgeschoben werden. In einer Art und Weise, die die ganze Arroganz deutlich macht, mit der Europa entscheidet, wer ins gelobte Land einreisen und bleiben darf und wer nicht, erklärt ein vom Scheitel bis zur Sohle unsympathischer Staatsdiener vom Bundesamt für Migration, weshalb Jola keine Chance in der Schweiz hat.

"Wir glauben ihre Geschichte nicht", sagt der Beamte lapidar im sachlichen Ton, in dem keinerlei Empathie mitschwingt. Weder die Entführung in Nordafrika, noch die Vergewaltung in Italien und dass man sie dort auch noch zur Prostitution gezwungen hatte. "Ich bin Beamter, kein Sozialarbeiter" diktiert der Behördenangestellte den Ermittlern achselzuckend in den Notizblock.

Flückiger bekommt es mit einer neuerlichen Migräneattacke zu tun und spätestens jetzt wird aus dem bislang wenig spektakulären Fall ein fesselndes Sozialdrama mit wenig Schwächen, das aufzeigt, wie unwillkommen Flüchtlinge in unseren Breiten sind. Mit jeder Hautzelle ihres dicken Arschs verteidigen Staatsdiener wie jener aus Luzern jeden Quadratzentimeter des Abendlandes und schlagen alles in die Flucht, was es wagt, ihnen den begehrten Platz an der Sonne streitig zu machen. Somit bleibt den Vertriebenden nur der Weg in die Illegalität, denn offiziell arbeiten dürfen sie ja nicht.

Interessant ist, dass der Fall zum Ende eine nicht vorhersehbare Wendung nimmt und hinter Ebis Tod kein Drogendelikt, sondern pure Eifersucht steckt. Vielleicht ist das auch gar nicht so verkehrt, denn so nimmt Regisseur Manuel Flurin Hendry dem ganzen etwas Wind aus den Segeln. Brisant genug bleibt allerdings Polizeichef Mattmanns abwertende Aussage, dass es am Schluß dann doch wieder nur ein Mord im Asylantenmilieu gewesen sei. Flückigers Blick verrät beim Vernehmen dieser Worte neuerliche Kopfschmerzattacken. Kein Wunder.

Eindrucksvoll gelingt es Hendry, die Geschichte des ermordeten Ebi zu erzählen, der eigentlich nie wirklich vorhatte eine Drogenkarriere einzuschlagen, sondern zu arbeiten und das verdiente Geld seiner Mutter zu schicken. Ohne dabei ins Kitschfach abzudriften serviert der Inszenator dem Zuschauer die Missstände einer versäumten Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik frei Haus. Das passiert nie oberlehrerhaft, sondern stets zurückhaltend. Manchmal reichen auch nur ein, zwei eindeutige Bilder. Hendry prangert nie an und verzichtet auch darauf, sich zu sehr in irgendwelchen Details zu verlieren.

Die authentischen, wackeligen Bilder, in denen man den Figuren ziemlich nahe kommt, und die abgeranzten Kulissen - so kennen wir Luzern doch gar nicht - tun ihr übriges und machen aus diesem letzten Fall vor der "Tatort"-Sommerpause ein durchaus sehenswertes TV-Spiel. Einzig und allein Ritschards Hals über Kopf angetretene Reise nach Italien, wodurch sie sich Erkenntnisse über Jolas Flucht aus Nigeria erhofft, wirkt arg konstruiert.

In Windeseile hat sie dank der Redseligkeit einer Nonne alle nötigen Infos beisammen und macht sich sogleich auf den Heimweg. Das ging etwas zu schnell Leute. Abgesehen davon hat sich der Schweizer "Tatort" mindestens ein Sternchen redlich verdient, weil er mit Bedacht auf ein großes Problem unserer Zeit aufmerksam macht.

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