Münchner Bettler-"Tatort": Am Rand der Gesellschaft

26.12.2016, 21:45 Uhr
Die Kommissare Batic und Leitmayr ermitteln in diesem Jahr zu Weihnachten im Milieu rumänischer Bettler-Banden.

© ARD Degeto/BR/Walter Wehner Die Kommissare Batic und Leitmayr ermitteln in diesem Jahr zu Weihnachten im Milieu rumänischer Bettler-Banden.

Nachdem es im vergangenen Jahr keinen klassischen Weihnachts-"Tatort", sondern zwei sehr unterschiedliche Folgen aus Köln und Wiesbaden an den Feiertagen zu sehen gab, kehrt der Themen-"Tatort" nun auf die Mattscheibe zurück. Dass heuer die Münchner an der Reihe sind und kurz vor dem Fest der Liebe Extraschichten einlegen müssen, ist womöglich kein Zufall, sondern des Senders pure Absicht. Schließlich versprühen sowohl Batic (Miroslav Nemec) als auch Leitmayr (Udo Wachtveitl) allein schon durch ihre prächtige, silbrig glänzende Kopfbedeckung eine gewisse Feiertagsstimmung.

Die Idee zu diesem weihnachtlichen "Tatort" kam BR-Redakteurin Stephanie Heckner übrigens vor drei Jahren, als sie an einem kalten Dezembertag durch Münchens Fußgängerzone schlenderte. Dabei entdeckte sie eine Familie aus Südamerika, die umringt von einer riesigen Menschentraube Lieder sang. Wenige Meter weiter saßen dagegen osteuropäisch aussehende Bettler in einer Art Gebetshaltung. Mit einer Hand reckten sie kleine Pappbecherchen in Richtung der vorbei hastenden Passanten. Betteln hatte und hat zu Weihnachten Hochkonjunktur. Die Kirchen verteilen Spendenzettel. Bettler-Organisationen schicken ganze Busse nach München.

Ein "Tatort" zwischen nah und fern

Von diesem Ursprungsbild ausgehend manifestierte sich im Kopf von Stephanie Heckner der Gedanke für diesen "Tatort". Mit der Autorin Dinah Marte Golch, die schon das Drehbuch zu "Nie wieder frei sein" verfasste, konnte sie letztendlich eine mit Preisen bedachte Kraft dafür gewinnen, das Skript für "Klingelingeling" zu entwerfen. Einem "Tatort", der zwischen nah und fern, fremd und gewohnt angesiedelt ist. Einerseits allein mittels der prägnanten Kommissare in München stark geerdet, andererseits belebt von Menschen und Schicksalen, die in München keine Heimat haben.

Golch vermittelt dem Zuschauer mit ihrer Geschichte einen Zugang zu einer Gruppe von Menschen, die am Rande der Gesellschaft ihr Dasein fristet. Deren Hilfsbedürftigkeit dem vorbeigehenden Passanten förmlich ins Gesicht springt und deren malade Situation zu allem Überfluss auch noch von mafiös arbeitenden Hintermännern ausgenutzt wird. Die harten Gegensätze zwischen einer wohlhabenden Gesellschaft, deren Sorgen sich zumeist auf die Frage reduziert, was man der Verwandtschaft unter den Baum legen will, und diesen Mittellosen aus Rumänien prägen diesen Weihnachts-"Tatort" zusätzlich.

Glücklicherweise werden die Geschehnisse in Markus Imbodens Film jedoch nicht unnötig mit Puderzucker bestäubt. "Klingelingeling" ist zwar eine feinfühlig erzählte Geschichte. Trotzdem verzichtet Imboden darauf, Partei für eine Seite zu ergreifen. Sein "Tatort" verharrt vornehmlich in Neutralität. Wie das Leben auch. Es es nicht gegen oder für einen. Daher kann es eben durchaus passieren, dass kurz vor dem Fest der Liebe ein totes Baby vor einem Altar in einer Kirche liegt.

Vergeblicher Kampf gegen einen Bettel-Clan

Dank ihrer geschulten Ermittler-Nasen und der Hilfe des urlaubsreifen Gerichtsmediziners finden Batic und Leitmayr schnell heraus, dass das tote Neugeborene zu einer jungen Bettlerin aus Rumänien gehört. Weil Betteln mit Kind jedoch verboten und im Dasein von Mutter Tida (Mathilde Bundschuh) kein Platz für ein Baby vorgesehen ist, muss das schreiende Etwas irgendwie entsorgt werden. Die zwei Single-Cops, die nebenher verzweifelt nach einer Verabredung für Heiligabend fahnden, blicken im Zuge ihrer Ermittlungen hinter die Machenschaften einer Bettel-Mafia, die von Frontmann Radu (Florin Piersic Jr.) geführt wird. Außerdem knüpfen die Fahnder Bekanntschaft mit den Obdachlosen Andi und Werner. Sie haben sich auf dem Friedhof vor der Kirche, in dem der tote Säugling abgelegt wurde, häuslich eingerichtet. Teilweise wirkt es auf einige sicher etwas befremdlich, wenn Leitmayr in einer Szene kaffeetrinkend mit den Clochards um die Wette scherzt. Doch das Leben ist manchmal so. Also warum solche Momente aussparen, nur weil mancher lieber Glitzerkugeln sehen will?

"Klingelingeling" ist in jeglicher Hinsicht kein typischer "Tatort". Weil der Zuschauer stets mehr weiß, als die teils granteligen, teils übertrieben herumwitzelnden Buddy-Bullen, geht dem Streifen jegliche Spannung flöten und liefert nicht wie gewohnt einen Mörder ans Messer. Dafür punktet Imbodens Film auf anderem Terrain.

Neben der wenig reißerisch, dafür logisch und flüssig erzählten Geschichte präsentiert "Klingelingeling" eine Reihe gut aufgelegter Schauspieler. Mit Florin Piersic Jr. und der ebenfalls aus Rumänien stammenden Cosmina Stratan als Tidas Schwester gehören zwei in ihrem Heimatland gefeierte Stars dem Ensemble an. Richtig an die Nieren geht dann übrigens doch noch das Schlussbild.

Mitten im rumänischen Nirgendwo verbringen die Kommissare Heiligabend. Gerade haben sie Tida und ihren toten Säugling zum elterlichen Hof chauffiert. Während Christen also überall auf der Welt die Geburt Jesu feiern, tragen die einsamen Polizisten zur selben Zeit den toten Buben zu Grabe. Keine frohe Weihnacht!

Verwandte Themen


4 Kommentare