Neuer "Tatort" aus Dresden: Wenn das Internet tötet

11.6.2017, 13:30 Uhr
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Die schnoddrigen Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) kann man durchaus noch als jung bezeichnen, aber was sie bei diesem Fall von der Jugend lernen müssen, lässt sie anfangs eher alt aussehen: Die sensationsgierige Masse folgt begierig ein paar pubertären Spaßmachern im Netz. Wenn es ernst wird, heizt sie sich im Social Web gegenseitig hoch, menschliche Zurückhaltung ist auch bei Mord und Vergewaltigung nicht mehr angesagt, wenn man spannende Videos auf dem Handy gucken kann.

Das ist in diesem "Tatort" aus Dresden reichlich überzogen dargestellt, aber so weit von der Realität auch wieder nicht entfernt. Gaffende und filmende Zuschauer bei Unfällen zeigen längst, dass Mitleid und Respekt bei manchen nicht mehr ganz oben stehen auf der Tugend-Agenda.

Der junge Internet-Star Simson ist als "Pranxter" bekannt geworden, also durch Videos, in denen er andere mehr oder weniger sanft veräppelt. Doch dann filmt er praktisch seinen eigenen Tod: Er flüchtet, das live streamende Handy immer auf sich gerichtet, und wird dann erschossen. Wirklich widerwärtig ist aber erst das "Social Mourning" am Ort seines Todes: gemeinschaftliches Trauern der pseudo-betroffenen Netzgemeinde, das bizarre Züge annimmt. Magnus Cord, der Chef der Agentur, die Simson zum Internet-Star gemacht hat, klopft scheinheilig-traurige Sprüche, fordert zum Kauf eines Armbändchens auf und die Menge filmt ihn natürlich wieder live.

Schade, dass Regisseur Gregor Schnitzler und Drehbuchautor Richard Kropf dermaßen überzogen haben, dass der hippe Agenturchef fast einer Karikatur der schönen neuen Netz-Gewinner gleicht. Denn das Thema gäbe eigentlich genug Diskussionsstoff her: Wo hört Privates auf, wo siegt die Sensationsgier?

Im Laufe des Films kommen noch andere in die Zwickmühle zwischen medialer Bekanntheit und realer Ohnmacht, wenn es um ganz Persönliches geht: Der ermordete Simson hatte einen Arzt in der Hand, den er filmte, als er bei ihm Schmerzmittel kaufte, ein Mädchen wird durch ein anderes Video unter Druck gesetzt, das zeigt, wie Simson sie zum Sex zwingt. Motive gegen Simson hatten auch noch andere genug.

Der "Tatort" läuft in der ARD-Themenreihe "Woran glaubst du?", was ganz gut passt. Der Agenturchef klingt wie ein Prediger, die Video-Stars werden zu Heilsbringern hochstilisiert, obwohl sie nur pubertäre Witzfilmchen posten. Und die Menge kann längst nicht mehr unterscheiden, was sie glauben kann und was gestellt ist. Düstere Aussichten für alle, die das Selberdenken dem Hype im Social Web opfern.

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