Neues Album von Tocotronic: Im Supermarkt der Sehnsucht

28.4.2015, 13:08 Uhr
Neues Album von Tocotronic: Im Supermarkt der Sehnsucht

© Foto: Michael Petersohn/Promo

Über Sex kann man nur auf Englisch singen. Haben Tocotronic in ihren Anfangstagen sogar selbst behauptet. Und nun das: „Unter deiner Decke ein freundlicher Empfang. Kannst du mich verstecken, damit ich leben kann?“ Das elfte Album der Hamburger Band verabschiedet sich von Diskurs, von Slogans, um sich der Liebe zu widmen. Und Spongebob Schwammkopf.

Es gibt Stimmen, die würden behaupten, dass nur der Tod und die
Liebe den Menschen zum Schaffen von Kultur antreiben. Und in Anbetracht der zahlreichen Alben, die vom Finden und Trennen der Wahlverwandtschaften in der Welt handeln, passt zumindest die eine Hälfte der These schon.

Beim Thema Liebe wird nicht rumgesülzt

Mit ihrer elften Platte untermauern nun auch Tocotronic diese Idee. Das rote Album. Keine Hamburger Schule mehr, kein Diskurs, keine Slogans. Stattdessen Synthesizer, kurze Titel, Sehnsucht, Zeilen wie: „Ich will keine Punkte sammeln, gib mir nur ein
neues Leben. Ich will keine Treueherzen. kannst du mir Liebe geben?“ Emotionen für die Supermarktkasse. Brauchen Sie den Bon?

Ein Album ähnlich dem Liebesbrief aus der vierten Klasse. Kann man furchtbar peinlich finden. Oder man lässt sich davon umschmeicheln. Nur muss man dafür Songs wie „Die Erwachsenen“ aushalten können: „Wir sind Babys, sie erziehen uns nicht. Wir sind Babys, wir spucken ihnen
ins Gesicht.“ Und das meinen die ernst.

Die musikalischen Referenzen dazu bilden The Cure und The Smiths, dementsprechend rücken die Gitarren in den Hintergrund, müssen sich der Melodie unterordnen. Die Dynamik der letzten Alben lässt bei den neuen Stücken eine Lücke zurück, die Tocotronic zwar zukleistern, aber nicht verdecken können. „Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass man beim Thema Liebe nicht rumsülzen darf“, sagte Sänger Dirk von Lowtzow im Interview mit der Musikzeitschrift Spex. Manchmal tun sie es aber trotzdem.

Letztendlich perfide Nummer, den Hörer mit „Prolog“ als erster Single auf den falschen Weg zu führen. Auf einmal steht das kantige Spiel am Schlagzeug von Arne Zank vorne, treibt den Song im stoischen Takt an. „Da sind Löcher unter deiner Haut, du bist aus Schwamm gebaut.“ Nie hat jemand schönere Sätze für Spongebob Schwammkopf geschrieben. Nur noch „Jungfernfahrt“ darf ebenfalls ein wenig ausbrechen mit wuchtigen Gitarren.

Rotes Album zum ersten Mai

Einzig „Solidarität“ spannt den Bogen zum symbolträchtigen Veröffentlichungstermin am 1. Mai für das rote (!) Album. Da geht es dann um die stierende Herde, um Spießroutenlauf unter Spießbürgern, um Menschen, die nicht mehr weiter wissen, die jede Zuneigung vermissen und vor dem Abriss stehen.

„Ihr habt meine Solidarität“, singt von Lowtzow hier. Ein Song zu den zahllosen Debatten, ein Song für die Unterdrückten, die Flüchtlinge, die Angestarrten. Und in diesem Moment wird klar, dass Liebe bei Tocotronic eben nicht nur Gefühl ist. Sondern ein Statement. Und zwar ein sehr wichtiges in diesen Zeiten.

Tocotronic treten heuer bei Rock im Park in Nürnberg und am 9. November im Erlanger E-Werk auf. Das Album erscheint zum 1. Mai.

Verwandte Themen


Keine Kommentare