Neues Studio-Album: Auf die Rolling Stones ist Verlass

2.12.2016, 13:31 Uhr
Neues Studio-Album: Auf die Rolling Stones ist Verlass

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Der Mensch braucht Rituale. Und feste Größen. Wie Feiertage im Kalender vermitteln ihm die Tourdaten und Plattenveröffentlichungen der alten Rock-Helden das (trügerische?) Gefühl, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Denn eigentlich gibt es wichtigere Dinge als ein neues Album der Stones. Auch wenn sie sich elf Jahre damit Zeit gelassen haben. Aber in Zeiten wie diesen bekommen simple Tatsachen besondere Bedeutung.

Als die dienstälteste Rockband der Welt im Frühjahr diesen Jahres ihr erstes Konzert in Kuba gab, lebte der dienstälteste Diktator der Welt noch. Jetzt ist der Konzertmitschnitt "Havanna Moon" ein historisches Dokument. Inzwischen ist auch mit Donald Trump ein bekennender Stones-Fan zum US-Präsidenten gewählt worden. Was natürlich in keinster Weise gegen die Stones spricht. Aber man sieht auch daran, dass nichts mehr so ist, wie es war.

The World’s Greatest Rock’n’Roll-Band verdankt ihre Entstehung der Blues-Begeisterung von Keith Richards und Mick Jagger (beide Jahrgang 1943). Der Legende nach begegneten sich die beiden als 18-Jährige auf einem Bahnsteig in Dartford und kamen miteinander ins Gespräch, weil Jagger zwei Platten von Chuck Berry und Muddy Waters unter dem Arm hatte. Richards war neidisch. Die beiden taten sich zusammen in der Band Little Boy Blue and the Blue Boys, die ersten Auftritte waren verheißungsvoll. Bald nannten sie sich Rolling Stones, nach einem Muddy-Waters-Song. 1964 landeten sie mit "Little Red Rooster", einem BluesSong, zum ersten Mal auf Platz eins der britischen Charts. Der Rest ist Geschichte.

Jetzt schließt sich der Kreis: Innerhalb weniger Tage im vergangenen Dezember nahmen die Stones "Blue & Lonesome" in den British Grove Studios in West London auf – nur einen Steinwurf entfernt von Richmond und Eel Pie Island, wo sie als junge Bluesband in Pubs und Clubs ihre Karriere begannen.

"Blue & Lonesome", das 23. Studioalbum der Band, ist ihr erstes, auf dem keine einzige Eigenkomposition zu hören ist. Die zwölf Stücke stammen von Buddy Johnson, Howlin’ Wolf, Memphis Slim, Magic Sam, Little Walter (2), Miles Grayson/Lermon Horton, Edie Taylor, Otis Hicks/Jerry West, Ewart G. Abner/Jimmy Reed und Willie Dixon (2). Die meisten dieser Oldies drehen sich um Liebesschlamassel, darunter "Just Your Fool", "I Gotta Go", "Hate To See You Go" und "I Can’t Quit You Baby". Vor allem die langsamen Nummern wie "All of Your Love", "Little Rain" oder "Hoo Doo Blues" gelingen den Stones besonders gut.

Ein astreines Blues-Album war, wenn man den Beteiligten glauben darf, keineswegs geplant. Es ergab sich gewissermaßen von selbst und musste einfach raus. Ein Album mit neuen Songs soll nächstes Jahr folgen. Dabei ist der Blues seit je die Kraft, die die Stones im Innersten zusammenhält. "Das Album ist ein Manifest der Reinheit ihrer Liebe zum Musikmachen. Blues ist die Quelle von allem, das die Stones tun", sagt Don Was, Co-Producer von "Blue & Lonesome".

Ja, es war die Begeisterung der jungen Engländer Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, die eigentlich erst zur weltweiten Entdeckung dieser afroamerikanischen Musik führte. Es war ursprünglich der Sound ehemaliger schwarzer Sklaven, und allgemein Klage und Trost aller sozial Benachteiligten, der vom Leben und der Liebe Enttäuschten.

Allerdings brachten es in der Regel nicht die alten Originale zu Starruhm, sondern ihre jungen, weißen Rock-Epigonen. Es gehört zu den Paradoxien der Musikgeschichte, dass nun eine Band alter Multi-Millionäre eines der packendsten Blues-Alben seit langem produziert hat. Rau, schmutzig, mitreißend, lässig.

Mick Jagger singt und spielt so voller Leidenschaft Mundharmonika, dass es eine Freude ist, Keith Richards und Ron Wood feuern ihre Gitarren wie wild aufeinander ab, Charlie Watts sorgt für den richtigen Groove. Mit von der Partie sind außerdem wieder die langjährigen Tour-Musiker der Stones, Darryl Jones (Bass), Chuck Leavell (Keyboards) und Matt Clifford (Keyboards). Und bei zwei Songs spielt auch Eric Clapton mit, der zufällig gerade in der Nähe war.

Die ehemaligen Jugendidole beweisen, dass man mit dem Blues alt werden kann, ohne peinlich zu wirken. Und sie machen ihren jungen Kollegen klar: Zukunft braucht Herkunft. So wie sie es einst von ihren alten Blues-Helden gelernt haben. Back to the Roots.

CD-Tipp: Rolling Stones, "Blue & Lonesome" (Universal Music)

DVD-Tipp: Rolling Stones, "Havanna Moon" (Universal)

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