Nürnberg sattelt auf: Vom Schrott zum schmucken Drahtesel

8.9.2011, 07:49 Uhr

Frische Luft um die Nase und die Möglichkeit, weitestgehend unabhängig und stressfrei ans Ziel zu gelangen – das sind nur einige der Vorteile, die das Fahrrad bietet. Das beliebte Fahrzeug ist jedoch mehr als Fortbewegungsmittel im Alltag und Gefährt für Ausflüge ins Grüne. Mit ihm verbindet mancher ein Lebensgefühl von Freiheit, Umweltbewusstsein und Unabhängigkeit von Statussymbolen.

Die meisten Radler sind einstimmig der Meinung: Nürnberg ist Fahrradstadt – wenn auch eine verbesserungswürdige. Das Radwegenetz ist ausbaufähig, so dass mehr Strecken ohne Unterbrechung gefahren werden könnten, beispielsweise in der Südstadt, der Fürther Straße und der Frankenstraße. Auch der Hauptmarkt bremst aus – wer ihn befährt, riskiert eine Strafgebühr.

Ehrgeizige Zukunftspläne

Aktuell liegt der Radverkehrsanteil in Nürnberg bei elf Prozent, so Frank Jülich, Leiter des Verkehrsplanungamtes der Stadt. Die Zahl bewegt sich zwar knapp über dem bundesweiten Durchschnitt, könnte aber üppiger ausfallen beim Gedanken an Umwelt und Gesundheit der Bürger. Dafür setzt sich bekanntlich auch die Kampagne „Nürnberg steigt auf“ ein, die das Ziel hat, die Stadt fahrradfreundlicher zu gestalten. Seit 2009 sollen bis zum Jahr 2014 insgesamt 4,5 Millionen Euro investiert werden.

Stellt sich die Frage: Was sagt die Geldbörse des Einzelnen beim Umstieg auf das Fahrrad? Die Spanne der möglichen Kosten ist nach oben nahezu unbegrenzt. Steffen Schaner fährt ein Rad für schlappe 12500 Euro. Das ginge auch günstiger, gesteht der Besitzer eines mobilen Fahrradladens in der Eberhardshofstraße ein, doch sein Liegefahrrad ist ihm heilig. Für den kleinen Geldbeutel ist dieser schicke und bequeme Luxus nichts. Auch Wohngegend und Stellplatz sollten passend ausgewählt werden, denn Fahrräder bekommen gerne Beine.

Die Lösung liegt auf der Hand: Ein altes, aber günstiges Rad muss her. Mit Einfallsreichtum und Geschick lässt sich aus Schrott ein schmucker Drahtesel basteln, der auf seinen Besitzer abgestimmt ist. Das hat sich auch Philip (23) gedacht, kurzerhand ein Fahrrad aus dem Altmetallcontainer gerettet, geschraubt und gebastelt und seinem Gefährt einen bunten Anstrich verpasst.

Der Student hatte dabei aber nicht nur Optik und Budget im Blick, sondern auch die Umwelt. Schadstoffwerte, vor allem die CO2-Belastung, können durch den Verzicht aufs Autofahren in jedem Falle reduziert werden. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub rechnete hoch: Wenn drei Menschen bei einer Strecke von fünf Kilometern mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit fahren, dann wird im Jahr eine Tonne CO2 gespart. Philip verbindet mit seinem Rad außerdem Flexibilität, Unabhängigkeit und Fitness. Selbst der Urlaub wird zum mobilen Abenteuer auf zwei Rädern: Er radelt nach Barcelona, geplant sind 100 Kilometer pro Tag – wohlgemerkt mit der alten Klapperkiste.

Von der Rad-Nostalgie infiziert ist auch Oliver Rose. Im „Fahrradladen“ in der Mittleren Kanalstraße verwirklicht er sein Konzept: Aus alt mach gut. Jeder Kunde kann sich sein Fahrrad nach Gusto aussuchen und Oliver Rose schraubt und bastelt dieses Gefährt dann zusammen, lackiert neu oder besorgt alte Ledersattel.

Auf dem Markt könne man die Tendenz zur Individualisierung beobachten. „Das ist wie der Fuchsschwanz bei Mantafahrern“, scherzt er über die Liebe zum Detail am nostalgischen Rad. Da wird ein in die Jahre gekommener Drahtesel schon mal zum Kunst-Objekt: Es bekommt zwei neue Reifen, eine Kette und der Rost wird mit einem Speziallack fixiert. Ob fahrtauglich oder nur verspielte Bastelei, in jedem Falle sieht man dieser Kiste ihre lange Geschichte an. Sie hat was erlebt. „Rad und Fahrer passen oft zusammen, auch wenn es seltsam klingt“, meint er schmunzelnd.

Wer nicht unbedingt im Trend liegen will, sondern lieber mit weniger Komfort, dafür aber individuell unterwegs sein möchte, bekommt einen preisgünstigeren Sattel samt Gestell unter den Hintern. Miriams Rad hat fünfzig Euro gekostet. „Eigentlich ist es mein persönlicher Fahrradtraum“, schwärmt die Studentin von ihrem hübschen 70er-Jahre-Stück. Ein pfiffigeres Lämpchen fehlt noch zum Fahrrad-Glück. Ihr Oldtimer verbindet Alltagstauglichkeit mit Retro-Schick.

Zum lässigen urbanen Lebensgefühl passt ein Fahrrad mit Geschichte. Voraussetzung ist die Bereitschaft, in die Pedale zu treten und auf etwas entbehrlichen Luxus zu verzichten. Eigentlich erstaunlich, was alles in eine Fahrradtasche passt...

Wenn auch nicht auf jeden alten Drahtesel, so trifft zumindest auf seinen Besitzer zu: Wer rastet, der rostet.
 

3 Kommentare