Nürnberger Oper startet mit "Boris Godunow"

23.9.2016, 13:50 Uhr
Nürnberger Oper startet mit

© Foto: Ludwig Olah

Modest Mussorgskys „musikalisches Volksdrama“ ist ein wuchtig Ding. Der Komponist stellte sich sein Libretto aus Puschkins „Dramatischer Chronik vom Zaren Boris und Grischka Otrepjeff“ und zwei Geschichtsdarstellungen von Nicolai Michailowitsch Karamsin und Iwan Chudjakow („Das mittelalterliche Russland“) selbst zusammen. Der historische Godunow war von 1584 bis 1598 Regent anstelle des geistig zurückgebliebenen Zaren Fjodor I. und ließ sich nach dessen Tod selbst zum Zaren ausrufen und krönen. Seine (Schreckens-)Herrschaft, die durch tiefe politische und soziale Krisen und vor allem Hungersnöte geprägt war, währte nur bis 1605.

Zu dieser Zeit tauchte auch ein entlaufener Mönch auf, der sich als überlebender Zarewitsch Dimitri ausgab („der falsche Dimitri“), den Zarenthron beanspruchte und mit Unterstützung von Wassili Schuiski schnell ein Heer mobilisieren konnte. Diese Episode wird auch in Mussorgskys Oper behandelt, aber im Zentrum steht der Umstand, dass Godunow den legitimen Zarewitsch als Baby ermorden ließ und an dieser Tatsache wahnhaft zerbricht.

„In der Geschichtsschreibung ist sehr umstritten, ob es diesen Zarewitsch wirklich gab oder ob es eine Sage ist“, erläutert Peter Konwitschny. Der 71-jährige Regie-Altmeister inszeniert für Nürnberg die 1869 entstandene Ur-Fassung des Stücks. Später musste der Autoditakt Mussorgsky die Oper auf Druck eines Theaterdirektors um eine ausführlichere Frauenpartie erweitern, weil der Intendant seine Favoritin auf der Bühne gut versorgt sehen wollte.

„Die Urfassung hat viel mehr Kraft und Originalität“, unterstreicht Konwitschny die Entscheidung für diese Version. Auf den Pausensekt wird das Publikum allerdings verzichten müssen, denn die sieben Bilder werden in einem Zug aufgeführt. Für Konwitschny ist Godunow ein Aussteiger, dem klar wird, dass jegliche Berührung mit Politik korrumpiert. „Ich kenne selbst grüne Politiker, die — als sie an die Macht kamen — Dinge decken mussten, die mit ihren ethischen Prinzipien unvereinbar waren“, gibt er eine Erfahrung weiter.

Allerdings kommt auch dem Volk eine zwielichtige Rolle zu. Für den Schluss hat sich Konwitschny zusammen mit Dramaturg Kai Weßler eine Lösung überlegt, die sich so in keinem Opernführer findet und die hier auch noch nicht verraten werden soll. Aber Konwitschny ist sich sicher, dass er den Geist des Werks damit sehr genau trifft. Auch auf diese Inszenierung möchte er seine alte Maxime anwenden: „Ich inszeniere lieber den Sinn eines Stücks als den Buchstaben. Das ist mein Verständnis von Werktreue.“ Seine Grazer „Traviata“, die auch in Nürnberg und London zu sehen war, kam jedenfalls beim Publikum glänzend an. Dieser „Godunow“ geht später nach Göteborg und Lübeck.

Titelpartie für Nikolai Karnolsky

Interessanterweise war Boris Godunow immer eine Glanzpartie für bulgarische Bassisten. Boris Christow, Vesselin Stoykov und auch der „König der Bässe“ Nicolai Ghiaurov (der verstorbene Ehemann von Mirella Freni) haben hier bedeutende Rollenporträts hinterlassen. In dieser Tradition steht also Nicolai Karnolsky, der in Nürnberg die gewichtige Partie stemmen will. Der Bulgare ist eben zum ersten Träger des Nicola Ghiuselev-Preises ernannt worden. Ghiuselev war nicht nur Bassist und der Gesangslehrer von Karnolsky, sondern selbst ein herausragender Boris. . .

„Boris Godunow“ ist natürlich Chefsache und deswegen dirigiert Marcus Bosch diese Produktion. Einer seiner Vorgänger, Hans Gierster, trat mit diesem Werk übrigens 1965 seine Amtszeit in Nürnberg an.

Eine Einführungssoiree findet am 26. September ab 18 Uhr im Nürnberger Opernhaus statt. Karten-Hotline: 0 18 05 / 23 16 00.

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