Schatzkammer statt Disneyland

24.7.2015, 19:08 Uhr
Schatzkammer statt Disneyland

© Foto: dpa

Die Bayreuther Verhältnisse sind nicht einfach. Seit 1973 gibt es eine Richard-Wagner-Stiftung, der das Festspielhaus gehört. Aber die Stiftung veranstaltet nicht die Festspiele, sondern die Festspiel GmbH, die das geräumige Theater oben auf dem Grünen Hügel wiederum nur gemietet hat (aktuell bis 2040). Dagegen betreibt die Stiftung das Richard-Wagner-Museum und das ihm angegliederte Nationalarchiv mit seinen wertvollen Schriften und Bildern am Rande des Hofgartens. Beide Einrichtungen waren bisher im Haus Wahnfried untergebracht. Doch der immobile Familiensitz der Wagners, in dem der Clan von 1874 bis 1966 residierte, gehört heute der Stadt Bayreuth.

Diese Gemengelage führt dazu, dass manches vor Ort etwas länger dauert. Was anfangs nur als Überholung der wirklich in die Jahre gekommenen Dauerausstellung im Haus Wahnfried gedacht war, wuchs sich zu einer 20,3 Millionen Euro schweren, völligen Neukonzeption aus. Museumsleiter Sven Friedrich wollte vor allem eines vermeiden: „Wir wollen kein Disneyland für Wagnerianer sein.“

Und so betont man auch optisch sehr deutlich im verwandelten „Haus Wahnfried“, dass es in Wahrheit ein Rekonstrukt ist. Am 5. April 1945 zerstörte eine Brandbombe mehr als 60 Prozent der Bausubstanz. Friedrich findet das geradezu symbolisch: „Damit wurde auch ein Urteil über die Ideologie gesprochen, die lange Jahre in diesen Räumen herrschte.“

Die ideologiegeschichtliche Verstrickung des Wagner-Clans mit dem Nationalsozialismus, aber auch die Erinnerung an jene mutigen Familienmitglieder, die sich dem braunen Ungeist widersetzten — wie die beiden Komponisten-Enkel Friedelind Wagner (1918-1991) und Franz Wilhelm Beidler (1901-1981) —, findet nun im 1894 errichten Siegfried-Wagner-Bau statt. Eben jene Stätte, wo Hans-Jürgen Syberberg sein legendäres fünfstündiges Video-Interview mit der bis zu ihrem Tod 1980 glühenden Hitler-Verehrerin und Siegfried-Witwe Winifred geführt hatte.

Wie in Wahnfried und im neuen Museumsbau, so gibt es auch hier wenig zu lesen. „Man soll schauen und hören“, erläutert Direktor Sven Friedrich. Will meinen, der Media-Guide ist fast unerlässlich, um die Exponate zu verstehen. Ansonsten helfen immer wieder Videopoints, die die Zusammenhänge filmisch aufbereiten.

Gewöhnungsbedürftig ist das neue Raumgefühl in Wahnfried. Man hat entschlackt. Große Teile der Originalausstattung werden nun durch Hussenmöbel, also weiße Flächenattrappen, ersetzt. Im Keller, wo früher die historisch wertvollen Bühnenbild-Modelle zur Schau gestellt wurden, präsentiert sich jetzt eine eigenartige, pseudoreligiöse „Schatzkammer“: Wie auf einem Altarschrein liegt derzeit die Reinschrift der „Tristan“–Partitur von Wagners eigener Hand aufgebahrt. Seine erleuchtete Büste strahlt dahinter. Ein Ort, wo in Kirchen gewöhnlich das Kruzifix hinge. . .

Die Modelle sind umgezogen in den von Volker Staab sensibel, mit großen Glasflächen und robusten Terrazzo-Böden in die Gartenanlage eingepassten Erweiterungsbau, dessen größter Baukorpus (darunter erstmals ein Depot) unter der Erde liegt. Doch die dortige Dauerausstellung ist eine einzige Enttäuschung: Wenige Kostüm- und Ausstattungsrequisiten sollen die gesamte Festspielgeschichte erklären und repräsentieren. Die Bühnenbild-Modelle sind in drei Etagen übereinandergestapelt. Die untersten Reihen erschließen sich nur im Liegen, die obersten überhaupt nicht.

Wahrscheinlich hat Wagner-Experte Udo Bermbach nicht ganz unrecht, wenn er hier von einer „verpassten Chance“ spricht. Da hilft auch ein Kinosaal nicht weiter oder die Riesenleinwand, auf der Fotos des legendären Festspiel-Chronisten Bernd Meyer (überwiegend aus den 50ern und 60ern) als Slideshow erscheinen.

Eine Etage darüber ist wenigstens die erste Sonderausstellung gelungen, die die Geschichte der Wagner-Wohnstätte unter dem Thema „Wahnfried oder Ärgersheim“ sehr anschaulich und durchdacht nachzeichnet. Der Schweizer Kuratorin Verena Naegele blieben ganze vier Monate zur Vorbereitung dieser Schau.

Um dem Anspruch von Oberbürgermeisterin Beate Merk-Erbe („Wagner verdanken wir die internationale Bekanntheit Bayreuths, und deshalb wollen wir auch eine Musiker-Gedenkstätte von europäischem Rang beherbergen“) wirklich gerecht zu werden, muss in der Dauerausstellung jedenfalls kräftig nachjustiert werden.

Richard Wagner Museum, Wahnfriedstraße 2; VGN-Buslinien 302 und 307 (Haltestelle Wahnfried); geöffnet Di. bis So., 10–18 Uhr, Juli und August tägl. 10–18 Uhr. Tel. 09 21 / 75 72 80, Internet: www.wagnermuseum.de

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