„Schriftsteller ist bei allen Härten ein Traumberuf“

1.6.2016, 12:21 Uhr
„Schriftsteller ist bei allen Härten ein Traumberuf“

© Foto: Heim

Herr Seidl, Sie sind derzeit Writer in Residence in Meran. Beflügelt eine schöne Umgebung beim Schreiben?

Leonhard F. Seidl: Als ich das erste Mal auf dem Balkon stand, habe ich mich schon gefragt, ob ich überhaupt zum Schreiben komme und nicht nur auf die Berge steige. Aber ich habe gleich am nächsten Tag mit dem Schreiben begonnen und gemerkt: So eine Umgebung beflügelt wirklich.

 

Was können Sie über Ihren neuen Roman schon verraten?

Seidl: Es geht um eine wahre Begebenheit: Um einen Amoklauf, der 1988 im oberbayerischen Dorfen stattgefunden hat, wo ich in der Nähe aufgewachsen bin. Er zog fremdenfeindliche Auswüchse nach sich. Das Thema ist ja leider wieder sehr aktuell.

 

Sie sind in der Jury des Literaturwettbewerbs der Kulturläden. Bekamen Sie viel Gutes in die Finger?

Seidl: Ja. Es waren innovative, gekonnte Texte dabei, die sich sowohl mit der persönlichen Situation des Erwachsenwerdens als auch mit Krisen im Erwachsenenalter auseinandersetzen. Das Spektrum reichte von personifizierten Pflanzen bis zu einem an Bukowski angelehnten Text. Wobei vor allem über diesen die Meinungen sehr auseinandergingen.

 

Es gab also heiße Diskussionen?

Seidl: Ja, aber das schätze ich auch sehr an der Juryarbeit.

Auffallend viele Frauen haben es in die Runde der letzten neun geschafft. Zufall oder ein Trend?

Seidl: Schwer zu sagen. Ich finde das aber sehr positiv, weil es konträr zum Literaturbetrieb ist. Es gibt mehr männliche Kritiker und Autoren, die in der Öffentlichkeit stehen, als weibliche. Was aber nicht bedeutet, dass es weniger Autorinnen und Kritikerinnen gibt. Aber wie so häufig in unserer Gesellschaft sind die Männer in der öffentlichen Wahrnehmung vorne dran.

 

Sie haben 2005 selbst den 2. Preis im Literaturwettbewerb der Nürnberger Kulturläden gewonnen. Was hat er Ihnen gebracht?

Seidl: Er war eine große Bestätigung. Das ist beim Schreiben ein wichtiger Aspekt, weil man in der Regel mit sich alleine ist, mit seinen Zweifeln, mit dem Text und seinen Ebenen: der Logik, der Sprache, der Syntax. So ein Preis mindert die Zweifel bei den nächsten Texten. Er hat mich ermutigt weiterzumachen auch in Durststrecken, die es ja immer gibt, wenn man Romane schreibt. Und das ist auch ein Grund dafür, warum ich Juror bin. Ich finde es sehr wichtig, die jungen Menschen zum Schreiben zu ermutigen und sie auf ihrem Weg auch zu begleiten.

 

Ein Weg, der selten, ein lukratives Einkommen verheißt...

Seidl: Das stimmt. Letztlich bedeutet, sich fürs Schreiben zu entscheiden, sich für Bescheidenheit zu entscheiden.

 

Weil sich vom Buchverkauf nicht leben lässt?

Seidl: Der Normvertrag, der zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und den Verlagen ausgehandelt wurde, empfiehlt, dem Autor mindestens acht Prozent vom Netto-Ladenverkaufspreis zu bezahlen. Sie können sich selbst ausrechnen, wie viel, beziehungsweise wie wenig das ist. Das heißt: Als Autor muss man Lesungen machen, sonst kann man nicht überleben. Deswegen ist es auch so wichtig, dass solche Auftritte honoriert werden. Der Schriftstellerverband in ver.di gibt 300 Euro als Verhandlungsbasis für eine Lesung vor. Das erscheint vielen hoch, ist es aber nicht: Ich muss den Roman schreiben, muss Textstellen auswählen, mein Büro bezahlen, ich lese die Textstellen probe, baue mitunter Videosequenzen ein. Das ist großer Aufwand.

Ist es denn schwer an Aufträge für Lesungen zu kommen?

Seidl: Ich habe mir inzwischen deutschlandweit ein Netzwerk aufgebaut. Aber leicht war das nicht, ganz im Gegenteil. Es geht ja nicht nur ums Schreiben, ein Autor muss auch Akquirieren können. Das kostet enorm viel Zeit. Auf Lesereisen habe ich schon mal bis zu vier Auftritte an einem Tag.

 

Ist Schriftsteller für Sie bei allen Härten dennoch Traumberuf?

Seidl: Ja, weil er so viel beinhaltet. Durch die Recherchen für meine Bücher und auch die Textproduktion lerne ich so viele andere Lebenswelten kennen und lerne auch, damit umzugehen. In meinem neuen Roman geht es zum Beispiel um einen Rechtsradikalen, der als Mensch aber durchaus sympathische Seiten hat. Wenn ich eine Figur zeichne, dann kann sie nicht nur schlecht sein. Sonst wird sie nicht menschlich, dann lebt sie nicht.

 

Der Buchmarkt wird immer schnelllebiger, kaum sind die Frühjahrsbücher auf dem Markt, trommeln die Verlage schon für die Neuerscheinungen im Herbst. Eine Entwicklung, die Sie bedauern oder begrüßen?

Seidl: Was ich begrüße, sind kleine, mittlere Verlage, die sich trauen, etwas zu machen, was nicht dem Mehrheitsgeschmack entspricht. Das ist wichtig, um vielfältige Sichtweisen auf aktuelle Ereignisse zu bewahren. Ansonsten bedauere ich, dass es vor allem darum geht, möglichst viele Bücher zu verkaufen. Aber Verlage sind Wirtschaftsunternehmen und müssen Gewinne erwirtschaften.

Endausscheidung und öffentliche Preisverleihung am heutigen Mittwoch, 1. Juni, 19 Uhr, Kulturladen, Röthenbacher Hauptstr. 74.

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