Sehnsucht nach göttlicher Gnade

15.6.2011, 20:11 Uhr
Sehnsucht nach göttlicher Gnade

© Concorde

Als Meisterwerk gepriesen und in Cannes mit der Goldenen Palme gekrönt, ist Malick unbestreitbar ein einzigartiger Film gelungen. Über eine halbe Stunde sieht man zu Beginn grandiose Naturaufnahmen, vom Urknall bis zu der Geburt des Lebens. Doch es ist nicht dieser schwelgerische, mit sakraler und klassischer Musik erhaben unterlegte Bildertrip, der den Film zu einem unvergleichbaren Epos macht. Vielmehr ist es die Geschichte selbst und wie Malick sie erzählt.

Mit der Unbeirrtheit des Gläubigen betrachtet er das Schicksal einer amerikanischen Familie in den 50er Jahren als Teil des von Gott geschaffenen Universums – verflicht göttliche Allmacht und menschliche Tragik. „The Tree of Life“, dem Malick ein Zitat aus dem Buch Hiob voranstellt, wirkt wie das Glaubensbekenntnis eines Regisseurs, der noch im Schrecklichen den göttlichen Funken erkennt.

Und so steht jenes Schreckliche, die Nachricht vom Tod des 19-jährigen Sohnes, der mittlere von drei Brüdern, am Anfang des Films. Alles, was wir im Folgenden von der Familie O’Brien erfahren, erleben wir als Erinnerung des ältesten Sohns Jack (Sean Penn), der sich viele Jahre später im cool designten Büro eines Hochhauses in die Vergangenheit zurückträumt. Zu jenem Tag, an dem seine Mutter voller Verzweiflung mit Gott rang, und weiter zurück in die Kindheit in einer Vorstadtsiedlung irgendwo in Texas. Fast nie verlässt die Kamera bei diesen Rückblenden das häusliche Refugium, in dem der autoritäre Vater (Brad Pitt) seine Kinder mit strenger Härte erzieht und die Mutter (Jessica Chastain) deren liebevolle Beschützerin ist.

Am Anfang hört man ihre Stimme aus dem Off, wie sie von den zwei Wegen spricht, die es im Leben gibt: Den Weg der Natur und den Weg der Gnade; der eine sei von Eigennutz bestimmt, der andere von Sanftmut. Bei Malick stehen die Eltern beispielhaft für diese Zweiteilung der Welt. Dass auch im Vater eine sanfte Seele vergraben ist, darf Brad Pitt, dessen Ausdruck recht minimalistisch bleibt, nur manchmal zeigen. Doch wenn die Mutter mit ihren Kindern allein ist, offenbart sich in jeder Geste, jedem Lachen, in jedem Detail die göttliche Schönheit der Welt.

Die Kamera, die fast nie still steht, entfacht einen Bilder- und Erinnerungsstrom und führt zugleich tief in die Gefühlswelt der Kinder (toll: Hunter McCracken als junger, aufbegehrender Jack), die gerade erst die Schönheit und die Schrecken des Lebens entdecken. In diesen Sequenzen ist der Film ungemein authentisch und vor dem Hintergrund des tragischen Todesfalls, der das ganze Werk mit Melancholie durchzieht, sehr berührend. Doch der Visionär wollte eben mehr erzählen, die ganze Schöpfungsgeschichte, und überfrachtet den Film mit pathetischem Bombast und bedeutungsschwangerem Raunen. Am verklärenden Ende mündet alle Spiritualität in esoterischen Kitsch. Ein Meisterwerk? Nicht wirklich. (USA/138 Min.; Cinecittà, Metropolis, Nbg.; Manhattan, Erl.)

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