Sicherheit gibt es nicht

2.6.2015, 12:00 Uhr
Sicherheit gibt es nicht

© F.: Thorsten Kirves

Die Cellistin Isabell ist in ihrem Metier hochbegabt, hockt aber allabendlich im Orchestergraben eines Musicals. Fürs Symphonieorchester reicht es nicht. Plötzlich ist ein Zittern in ihrer Hand, ein echtes Berufshindernis. Isabell schreibt auf Zettel „Meine Hände werden nicht zittern“, zu Hause schafft sie das auch einigermaßen. Beim Auftritt schleicht sich prompt das Zittern wieder an, sie hat es im Kopf gespürt, bevor es die Hand heimsucht.

Sie lässt sich krankschreiben, Physiotherapie hilft nicht weiter, sie verliert ihren Job, versucht es anderswo, übt wochenlang für ein Vorspiel, sagt niemandem etwas von ihrem Handicap, nicht einmal ihrem Mann.

Georg arbeitet als Redakteur in einer Tageszeitung, er richtet Texte, die andere ungerade schrieben, macht Themenpläne und schreibt gelegentlich eine große Reportage. Bis Sparmaßnahmen seine Redaktion erst zermürben, dann wird ihm gekündigt. Er bewirbt sich anderswo – vergeblich. Georg ahnt, dass er nun zur Generation „Zu spät“ gehört. „Er hat gedacht, sich den Anspruch auf Sicherheit verdient zu haben“, schreibt Bilkau. „Doch es gibt keinen Anspruch auf Sicherheit.“

Matti, das gemeinsame Kind, braucht aber Sicherheit. Dem Baby soll es gutgehen. Als das Altbauhaus edelsaniert wird, schwant beiden Arbeitslosen Schlimmes. Noch ist Geld da, aber der Abstieg kommt. Die schöne Wohnung zu verlassen, die geliebte Straße mit den Fassaden in Bonbonrosa, Türkis und Gelb, das wäre der wahre Abstieg. „Die Glücklichen“ rutschen langsam, aber verlässlich in den sozialen Untergang.

Fein austariert

Das ist Literatur als Kunst, keine Kunstanstrengung, sondern Kunstfertigkeit. Kristine Bilkaus Debütroman ist fein austariert. Er klagt nicht an, trumpft nicht auf mit Wortexzessen, erzählt in doppelter Perspektive aus der Sicht eines jüngeren Paars und führt dabei doch tief hinein in die Realien der Merkel-Epoche. Die Autorin, 1974 geboren, hätte angesichts dessen, worum es in ihrem Buch geht, in Schwermut und Düsternis versinken können. Das aber hat sie strikt vermieden. „Es ist nicht alles so gelaufen, wie sie gedacht haben, na und“, heißt es einmal trotzig.

Das ist kein Frontbericht vom akademischen Prekariat, aber umso mehr ein einfühlsamer Roman, der präzise schildert, was das Thema braucht. Kein Wort zu viel, kein Gejammer. Isabell und Georg kaufen nicht mehr im Bio-Laden ein, sie verlieren ihre Großzügigkeit, werden dünnhäutig, gehen anders miteinander um. Bilkau beschreibt diese Wandlung bis ins letzte Details.

Ansteigende Angst

Das geschieht protokollarisch sachlich, ohne Greinen, doch mit anschwellendem Zorn. Wie sie vor allem die Entfremdung zweier Menschen schildert, das ist gekonnt. Die Autorin hat viel beobachtet, anderen zugehört, die ansteigende Angst registriert.

Es sind Kleinigkeiten, die den Fall beschleunigen. Wie sich Isabells und Georgs Sicht auf die Dinge verschiebt, wie sie merken, dass sie nicht mehr dazugehören, was es heißt, von ALG I leben zu müssen. Wie sich Leere ausbreitet, von Zweifeln an sich selbst und dem anderen besiedelt, wie Rituale des Familienlebens dabei zerfleddern. Sparsam und treffend wird das geschildert. So war das wohl noch nie zu lesen wie in diesem großartigen Roman.

Als sich die Ahornblätter jahreszeitgemäß verfärben, verdüstert sich die Stimmung immer weiter. Es soll nicht so sein, geht aber nicht anders. Die stärksten Abschnitte im Buch sind diese Beschreibungen der Verdüsterung. Kristine Bilkau schreibt den Abstieg konsequent zu Ende, sie verharmlost und umgeht die Wahrheit nicht. „Versager“ heißt es auf einmal. Es kommen gegenseitige Anschuldigungen, es folgen Schuldgefühle und das Gefühl der Aussichtslosigkeit.

Etwas Glück kommt dann doch noch, ganz überraschend. Aber kein Happy End.

Kristine Bilkau: Die Glücklichen. Roman. Luchterhand-Verlag, München, 301 Seiten, 19,99 Euro.

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