Theater mit Gemüse

17.5.2015, 19:08 Uhr
Theater mit Gemüse

© Foto: Festival

Seinen Status als gut funktionierendes, städteübergreifendes Gemeinschaftsprojekt des Großraums Nürnberg — Fürth — Erlangen hat das Figurentheaterfestival auch mit der 19. Ausgabe wieder unter Beweis gestellt. Die Zuschauerzahlen sind stabil geblieben. Und das treue Publikum zeigte sich so aufgeschlossen, neugierig und/oder kundig wie stets. Es hat längst begriffen, dass das Festival nicht nur Highlights zünden kann, sondern einen Überblick über das aktuelle Schaffen des Genres geben will. So sorgten die Figuren-Fans auch bei sperrigen und experimentellen Stoffen für ausverkaufte Vorstellungen.

Dennoch wurde einmal mehr deutlich: Eine gut gemachte und intensiv erzählte Geschichte kann die Zuschauer viel nachhaltiger erreichen und bewegen als Produktionen, die vor allem auf Schauwerte, Effekte oder verkopfte Inhalte setzen. Konservativ oder innovativ — beides hat beim Festival seine Berechtigung. Doch am Ende sollte zählen, was das Publikum mit nach Hause nimmt.

Das ganze Programm kann man unmöglich schaffen: 67 Kompanien waren aus 19 Ländern angereist, um ihre Bilder-Geschichten zu erzählen, manche sogar mit zwei Produktionen – 155 Veranstaltungen insgesamt bot das 19. Internationale Figurentheater-Festival. Wobei bei manchen die Bilder zum Selbstzweck wurden und die Geschichten fast vergessen waren. Ein fast ausverkauftes Festival zeigt den Stellenwert, den das Figuren- und Objekttheater in der Region seit Jahrzehnten genießt. Die Stuhlreihen sind in drei Städten dicht besetzt, die Neugier ist groß.

Auf verwegene Bilder waren auch die Gäste bei „Liquid Loft“ in Nürnberg gespannt: Dem Werden und Vergehen, Fressen und Gefressenwerden, der Sanftheit und Extase widmete der österreichische Choreograf Chris Haring seine Performance „Deep Dish“ in der Tafelhalle. Auf einem großen Tisch sind wie beim Erntedankfest knackige Früchte und Gemüse aufgebaut, aus der Decke tropft das Wasser in ein Glas und gibt den Rhythmus vor.

Die vier Tänzer-Darsteller von Liquid Loft mimen ein fröhliches Gelage, kauen mikrofonverstärkt, was gut zu den Live-Video-Bildern auf der Riesenleinwand im Hintergrund passt. Denn dort sind die Früchte ins Riesenformat herangezoomt, wandert man durchs Innere eines Kopfsalats oder sieht die Eingeweide einer Paprika zum Reinbeißen nah.

„Deep Dish“ ist vor allem ein Bilderrausch, raffiniert gefilmt mit Vervielfachungs-Effekten, manchmal auch farblos, so dass die Tänzerinnen aussehen wie Aliens, die uns geheimnisvolle Texte zuraunen. Dazu gibt es sinfonischen Sphären-Sound. Auf der Bühne finden wahlweise erotische Posen oder Massaker mit zerquetschten Tomaten und Wassermelonen statt, was durch die Kamera aussieht wie ein saftiger Horrorstreifen. Mit Ironie und Sinn für die Optik arbeiten sich die Darsteller am Gemüse ab. Doch irgendwann verwest alles: Die wie Korallen im Wasserglas züngelnden Fäden entpuppen sich als Würmer, die Früchte tragen eine dicke Schimmelschicht. Merke: Das große Fressen ist endlich, auf die Völlerei folgt unausweichlich die Verwesung, nicht nur im Pflanzenreich.

Jungem Gemüse, in diesem Fall Kindern zwischen neun und zwölf Jahren, hat der Belgier Philippe Quesne das Kommando über seine Inszenierung „Next Day“ gegeben. Und dieses muntere Dutzend macht sich die Welt, wie es ihm gefällt. Auf der Bühne haben Erwachsene nichts zu suchen, was ein bisschen darüber hinwegtäuscht, dass „die Großen“ im Hintergrund die Choreografie-Strippen gezogen haben. Es geht um lauter kleine Superhelden, die mal eben die Welt vor Außerirdischen, Tsunamis, Umweltkatastrophen etc. retten müssen.

Laut Programmheft sollen da „die Grenzen zwischen Traum und Realität, Sprache und Musik, Einsamkeit und Gemeinschaft ausgelotet werden“, in Wahrheit schaut man einer munteren, niederländischen Rasselbande — die sich anfangs in einer durchaus entzückenden Vorstellungsrunde präsentierte — eine gute Stunde eins zu eins beim organisierten Spielen, Musizieren oder Schlafen zu. Das ist nett, birgt aber — mal abgesehen von einer Attacke auf das Publikum mit Schaumstoffwürfeln — eine Menge Leerlauf. Was man daraus lesen soll, bleibt rätselhaft.

Rätsel gibt auch die Marionetten-Performance des TJP Centre Dramatique National d’Alsace auf. Schon klar, hier geht es um Verwandlungen, um sinnliche Bilder und Spiegelungen rund um die Geschichte des Actaeon aus Ovids „Metamorphosen“, der von Göttin Diana in einen Hirsch verwandelt wurde, weil er sie beim Baden überrascht hat. Doch wirklich schlau wird man aus dieser Vorführung nicht, zumal sich die schönen Schauwerte schnell erschöpfen.

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