Tukur-Tatort: Surreale Film-im-Film-Kost

27.12.2015, 21:45 Uhr
Tukur-Tatort: Surreale Film-im-Film-Kost

© HR/Kai von Kröcher

Es passiert beim Dreh des HR-Tatorts Wiesbaden. Ein Regieassistent wird nach durchzechter Nacht tot in seinem Auto gefunden. Ein Unfall? Wie sich schnell herausstellt, nicht. Der Tatort-Schauspieler Ulrich Tukur gerät ins Visier der Tatort-Ermittler um Kommissar Murot, sein Alter Ego und eigentlich die Figur, die Ulrich Tukur spielt. Soweit, so verwirrend. Murot ermittelt also gegen den, der ihn spielt. Es wird surreal.

Die Schlüsselszene, in der dem Zuschauer das vermittelt wird, kommt gleich zu Beginn des Tatorts. Später einschalten – nicht ratsam. Ein bisschen Nägel klipsen oder nach 20.15 Uhr nach dem Rotwein im Keller suchen, bevor man sich zur Tatort-Kontemplation auf das Kanapee sinken lässt, ist diesmal nicht drin. Es wartet ein Tatort, den man nur mit voller Aufmerksamkeit konsumieren sollte. Keine leichte Sonntagabend-Gaunerpistole sondern ein intensives Kammerspiel liefert der Hessische Rundfunk (HR) da als Feiertags-Finale. Blutig ist dieser Tatort nicht. Anders als sein Vorgänger "Im Schmerz geboren", der 50 Opfer forderte, gibt es hier nur einen tatsächlichen Toten, von den Filmleichen mal abgesehen.

Der Titel "Wer bin ich?" ist Programm. Ein Schauspieler in der Identitätskrise – während sein Umfeld es wahnsinnig komisch findet, dass er, der Tatort-Kommissar, verdächtigt wird, und er selbst in seinem Gehirn kramt nach den Ereignissen jener Nacht, als er mit dem jungen Mann auf Feier-Tour war, bevor dieser ums Leben kam. Hat der Schauspieler im Rausch der Nacht vielleicht Schuld auf sich geladen? Als er dann auch noch eine große Summe Geld in seinem Kleiderschrank findet, ist Ulrich Tukur vollends gefangen im Gewirr der Winkelzüge der Mitspieler um ihn herum. Will man ihm etwas anhängen? Um ihn, den Tatort-Kommissar durch einen neuen Ermittler ersetzen zu können?

Loyalitäten der Filmbranche 

Tukur spielt wie immer intensiv den Verzweifelten, den Getriebenen, den sich selbst nicht mehr trauenden. Spannend zuzuschauen allemal, wie die Filmbranche ihre Eitelkeiten pflegt und ihre Illoyalität zelebriert, denn trauen kann Tukur hier keinem. Nicht einmal sich selbst. Das macht diesen Tatort so spannend – ein Geflecht aus Lug, Trug, Schein und Verdächtigungen.

Die Story ist gut, nicht klassisch, sondern ganz anders wie das bei Murot-Tatorten Programm und Methode ist. Ein sehr selbstreflexiver Film, der weit abseits vom klassischen Tatort-Muster, Leiche – Ermittler – Täter, wandelt. Ein Film im Film, in dem sich Tukur um sich selbst dreht und die Filmbranche sich selbst spiegelt, bevor es am Ende noch einmal richtig philosophisch wird.

Wer nicht in jeder Minute mit voller Aufmerksamkeit dabei ist, schaltet nach diesem Tatort vielleicht ab und denkt sich erst einmal nur: „Was war das jetzt?“. Bis die Erkenntnis reift, braucht es mitunter ein wenig. Ein sehr hintersinniger Tatort, für den man sich Zeit nehmen sollte, der aber deswegen nicht weniger als tukur-gewohnt gut ist.

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