Uraufführung im Nürnberger Schauspielhaus

16.10.2017, 16:30 Uhr
Uraufführung im Nürnberger Schauspielhaus

© Foto: Marion Bührle

Gerade kann man an den Münchner Kammerspielen beobachten, wie das Theater scheitert, wenn es die Wirklichkeit umkehrt: da wird nämlich das komplette weiße Ensemble aus Anna Sophie Mahlers Roman-Adaption des Josef Bierbichler-Romans "Mittelreich" durch ein schwarzes ersetzt. Der Effekt verpufft aber und es ist so, als ob man bei seinem Fernseher einen farbigen Film mittels Fernbedienung in einen schwarz-weißen "verwandelt".

Ähnlich geht es einem mit Volker Schmidts "Textil-Triologie", deren drei Teile "Mann muss dankbar sein", "Ihr könnt froh sein" und "Wir sind glücklich" in den Nürnberger Kammerspielen Premiere hatten. Auch Schmidt dreht Vorzeichen um und will dadurch dazu anregen, unsere Realität in Frage zu stellen: das alte Europa hat ausgedient, ist nicht nur finanziell bankrott, leidet an der zerbröckelnden Größe; die wirklichen reichen Industrienationen befinden sich längst in Asien, wo man mit Geld und Zukunft protzt – nicht weniger aufdringlich und sorgenfrei wie einst der Westen. In diesem Szenerio ändert sich dann natürlich auch die Flucht-Richtung. Statt von Ost nach West geht es jetzt anders herum und an den gut gesicherten Grenzen stranden die Hoffnungslosen, die "Freigestellten" und Gefeuerten aus Deutschland, Österreich oder Frankreich, die ihre letzte Überlebenschance als Leiharbeiter im fernen Morgenland suchen.

Schmidts Idee ist nicht reizlos, aber er überfrachtet seine anfangs noch intimen Texte mit teils sehr holzschnittiger Kapitalismus- und Weltordnungskritik. Seine einfachen Figuren sprechen die komplizierte Sprache hochgebildeter Ökonomie-Analysten – und wollen und sollen doch eigentlich "nur" von ihren ganz normalen, niederschmetternden Schicksalen reden.

Ausverkauf der Werte

Um den Ausverkauf der Werte und Wertigkeiten noch plastischer zu gestalten, sind es drei Frauen, die Schmidt auf die lange und beschwerliche, demütigende Reise auf der Suche nach dem verlorenen Glück schickt. Aus seinen durch die Maloche im eintönigen Textil-Betrieb Zermürbten werden ziemlich zwangsläufig Prostituierte, die den Vertretern der neuen Weltherrschaft zu Willen sind – Ausbeutung, körperliche wie seelische, auf allen Ebenen.

Die Wege von Liesl (Lilly Goppner als naiv Demütige), Kathi (Ruth Macke taff und forsch) und Hanni (Svetlana Belesova als grübelnd Kämpferische) driften auseinander und kreuzen sich doch immer wieder. Wenn sie sich am Anfang aus den Kleiderbergen (Bühne und Kostüme: Luisa Wandschneider) wühlen, ist da dieses Aufbäumen, sich aus der eigenen Scheiße nur aus eigener Kraft befreien zu können, und wenn sie im gelobten Land ankommen, ist da noch so etwas wie der Trotz der Zurückgesetzten: "Die Industrienation hat Angst vor dem Nichts". Doch sie sind das Nichts, werden zumindest dazu degradiert, wenn sie reduziert auf ihren Körper das verkaufen, was am meisten schmerzen kann.

Findet auch die eine noch kurzfristig Euphorie beim gesellschaftlichen Aufstieg, den ihr der Sex mit der herrschenden Klasse beschert, so zerfrisst die anderen beiden schon bald die Degradierung zur fleischlichen Ware, bahnt sich Wut, Aggression an, die in gewalttätigem Zurückschlagen endlich wie befreiend zum Ausdruck kommt. Hier wird aus Schmidts Story freilich eine arg ergreifend triefende Underdog-Legende (das Ende auf der Müllkippe), die klischeesatt nur noch zu Mitleid und kaum mehr zum Nachdenken aufruft.

Anne Bader versucht mit ihrer Inszenierung aus all der Textlastigkeit einen spannend-unterhaltsamen "Trialog" zu machen und ihre Schauspielerinnen folgen ihr da im Rahmen der begrenzten Aktionsmöglichkeiten munter. Im letzten, dem Nürnberger Uraufführungsteil aber wird aus dem ganzen (erheblich kürzbaren) Unternehmen nurmehr ein zäher zwischen Theorie und Emotionen schwankender Nachklapp, ein bisschen statisches Polittheater mit direkter Publikums-Attacke. Das liegt auch daran, dass Volker Schmidt erwartungsgemäß keine Lösung und schon gar keine Handlungssgstrategie, aus der verfahrenen globalen Lage herauszufinden, eingefallen ist.

ZVorstellungen: 18., 19., 25. und 29. Oktober sowie im November.

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