Varoufakis erklärt die Marktwirtschaft

7.8.2015, 19:05 Uhr
Varoufakis erklärt die Marktwirtschaft

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Che Guevara fuhr Motorrad, für die internationale Linke ein Heldenmythos. Auch Yanis Varoufakis fährt Motorrad, und für die europäische Linke ist er ein Held. Der unkonventionelle Grieche, körperlich durchtrainiert, mit kantigem Gesicht und unangepasst, würde nie eine Krawatte um seinen Hals würgen, nie vor einem Feind wie dem Neoliberalismus oder einem Wolfgang Schäuble in die Knie gehen – und in seinem Buch schildert er, warum das so ist. Soeben ist es auf Deutsch erschienen.

Seine Tochter, die er mit einer Australierin griechischer Herkunft hat – die Ehe wurde geschieden, seine Exfrau lebt mit dem Kind in Australien –, solle sich einen schönen Abend im Sommer auf einer ägäischen Insel vorstellen. Sie sitzt auf der Terrasse, als die Sonne als roter Ball im Meer versinkt und ein von Rheuma geplagter Kapitän Kostas aufkreuzt. Dessen Ankerkette ist gerissen, er bittet das Kind, ins Wasser zu springen und eine neue Schnur um den Anker zu winden, weil er es selbst nicht kann. Wenn du es tust, schreibt der Autor, wirst du dich gut fühlen. Hättest du aber von Kostas erst mal fünf Euro verlangt, bevor du ihm den Gefallen tust, hättest du kein gutes Gefühl.

Kein überzeugendes Grundsatzreferat, wenngleich ein sympathisches Bild. Varoufakis will damit der Tochter die Ungleichheit in der Welt erklären, die durch den Kapitalismus entstanden sei. Nach seiner Meinung sind es die Geldverlockungen, die heutige Lebenswelten dominieren. Eine Ansicht, der man sich gleich anschließt.

Die Welt werde von Technokraten und Barbaren regiert, die, so Varoufakis, „alles über Preise und nichts über Werte wissen“. Die strikte Ausrichtung des Lebens auf die Ökonomie sei unmenschlich, die Wirtschaft profiliere sich quasi als Naturwissenschaft. Auch dem kann man folgen.

Was aber ist die Lösung? Es gibt keine. Varoufakis’ Kritik ist schneidend, er sieht in der Marktwirtschaft das, „was die Hölle fürs Christentum“ war. Sie erzeuge Angst und Ungerechtigkeit. Einige profitierten davon, ihre Gewinne seien der „Fetisch der neuen Unternehmerklasse“. Der Reichtum der Wenigen sei auf den Schulden von Vielen aufgebaut. Varoufakis’ Welt ist Schwarz und Weiß, Böse und Gut, in ihr herrschen Klassenkampf, Ausbeutung und Unterdrückung.

Er belegt es nicht, er behauptet es. Der gescheiterte Finanzminister ist durch und durch ein Anti-Kapitalist. Eine Marktwirtschaft, von der auch viele etwas haben, die aber Varoufakis zu den Verlierern zählt, gibt es für ihn nicht. Dass Marktwirtschaft und Demokratie zusammenpassen, lässt er nicht gelten. Dass dieses System immerhin zu besserem Leben für Millionen geführt hat, zu mehr materiellem Besitz, mehr Gesundheit, größerer Lebenserwartung – kein Wort davon.

Der Salonmarxist hat sich eine Hypothese gebastelt. Passen Sophokles, Goethe oder Dickens in sein Schema, werden sie zu Zeugen ernannt. Auch anderes wird vereinnahmt.

Der Hollywood-Film „Matrix“ dient dem Professor, der eine Privatschule in Athen besucht, in England studiert und später an den Universitäten Cambridge, Glasgow, Sydney und Athen gelehrt hat, als treffender Vergleich. Im Film erhalten manche blaue Pillen, sie leben in der Lüge, andere rote Pillen, sie kennen die Wahrheit. Ist das für eine Heranwachsende und andere Leser eine geeignete Welterklärung?

Yanis Varoufakis hat als Minister für seine Griechen nichts herausgeholt. Nun soll er wegen Vernachlässigung der Amtspflichten verurteilt werden. Der 1961 geborene Shootingstar der Linken ist eine Projektionsfläche für deren Träume, an die reichen Griechen dagegen, die nie Steuern zahlten, hat er sich nicht herangetraut. Die Folgen seines selbstgerechten Politikstils tragen die verarmenden Griechen. Er hat hingeschmissen und fuhr auf seinem Motorrad davon.

Yanis Varoufakis: Time for Change – Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre. Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand. Hanser, München. 179 Seiten, 17,90 Euro.

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