Von den Albträumen einer Schamanin

14.12.2009, 00:00 Uhr
Von den Albträumen einer Schamanin

© Asaro

Nein, eine Schamanin stellt man sich irgendwie anders vor: Keine wallenden Gewänder, keine Gesichtsbemalung, keine geheimnisvollen Amulette. Stattdessen: Eine kleine, kompakte Frau mittleren Alters mit gesunder Gesichtsfarbe unter grau-blondem Haar. Einfacher Pulli, Armee-Hosen, Stiefel. So wie einen Kiat Gorina vor ihrem kleinen Haus am Ortsrand von Sauernheim, einem winzigen Nest zwischen Windsbach und Wolframs-Eschenbach, begrüßt, wirkt sie kaum anders als die Bauersfrauen im Ort. Denen jedoch ist sie höchst suspekt. «Ich fliege ja angeblich auf einem Besen übers Dorf«, sagt sie mit einem müden Lächeln. «Bei meinem Gewicht! Also, der Staubsauger ist bequemer. Nur, dass sich da immer das Kabel verheddert...«

Ungläubig den Kopf schütteln

Es ist genau die Art von trockenem Sarkasmus, der sich wie ein roter Faden durch ihr erstes Buch zieht, eine Art Autobiografie in Form eines Abenteuerromans: «Die Schamanin die keine sein wollte«. Gorina erzählt darin von einem Leben, das so abenteuerlich und fantastisch anmutet, dass man oft ungläubig den Kopf schüttelt – und gebannt weiter liest.

Ihre Mutter heuert bei den Sowjets als Industrie-Spionin an, in der Hoffnung, dem kargen Nomadenleben zu entkommen. Der deutsche Vater war während des Zweiten Weltkriegs an der Entwicklung der V2-Rakete beteiligt und erfindet danach Industrienähmaschinen mit pneumatischer Steuerung. Auf der Leipziger Messe lernen sich beide kennen, die Frau setzt, um den Deutschen zum Plaudern zu bringen, ihre weiblichen Waffen ein und wird schwanger. Danach landet sie nicht, wie erhofft, in einer Villa in Moskau, sondern wieder in der mongolischen Steppe. Dort wird Kiat geboren, blond und blauäugig. Von der Mutter wird sie abgelehnt, genauso wie von der ganzen Sippe. Sie wird zu einem anderen Clan geschickt, der sie ebenfalls ausgrenzt. Zeitweise lebt das Kind mehr mit Wölfen zusammen, als mit Menschen.

Direkt und ungekünstelt

Ihre bald deutlich hervor tretenden schamanischen Fähigkeiten helfen ihr auch nicht gerade, dass Vertrauen der Nomaden zu gewinnen. Trotzdem findet sie Menschen, die ihr helfen und von denen sie lernen kann: Schamanen, Seher, buddhistische Mönche, ein russischer Major. Sie wird Soldatin bei der Roten Armee und landet schließlich in den Folterkellern des russischen Geheimdienstes. «Wenn ich denke, dass das mir passiert ist, kriege ich jetzt noch die Krise. Ich habe das aufgeschrieben, weil ich Albträume hatte. Wenn man senkrecht im Bett sitzt, losbrüllt und vom eigenen Geschrei wach wird – das ist nicht so schön.« Ganz bewusst erzählt Gorina ihre Geschichte in der dritten Person – aus Angst vor Repressionen. Ihre Sprache ist direkt und ungekünstelt, selbst wenn die Story bisweilen ins Fantastische abdriftet.

Wenn man der Frau in ihrem kleinen Wohnzimmer gegenübersitzt, hat man von ihr keinesfalls den Eindruck einer Aufschneiderin. Kenntnisreich plaudert sie von russischen Waffentypen und mongolischer Geografie, ihre Ausführungen über Schamanismus haben nichts Esoterisches an sich: «Die Schamanen haben an Geister geglaubt, schließlich ist das eine Naturreligion. Aber wenn jemand ein vereitertes Bein hatte, dann hat er keine Dämonen angerufen, sondern den grünen Schimmel von Kamel-Sätteln abgekratzt. Und siehe da, es wurde besser. Das war aber keine Zauberei, sondern Penicilin, das in dem Schimmelpilz enthalten ist.«

Jungbullen im Liebestaumel

Seit 1978 lebt Gorina in Deutschland, seit einigen Jahren in Mittelfranken. Vor dem Haus grasen Pferd und Maulesel, der Huskie-Mischling Riffel schielt sehnsüchtig nach den Keksen. Unter ihrem deutschen Namen Ulrike Hannemann arbeitet sie als Tierheilpraktikerin, mit gutem Erfolg. Ihr Mitbewohner, ein breitschultriger, besonnener Mann, erzählt von einem Bauern im Ort, dessen Jungbullen sich im Liebestaumel gegenseitig besprangen. Nach einigen homöopathischen Kügelchen im Trinkwasser beruhigten sich die Tiere. «Und gleich hieß es am Stammtisch: ,Was, wenn die das mit uns macht?‘«

Die Kunden kommen mittlerweile von weiter her, im Ort gelten die beiden als Hexer. Anfeindungen, nicht nur verbale, gab es den beiden zufolge öfter. Was hatte ihr ein alter Schamane einst prophezeit? «Du wirst in jedem neuen Ort unerwünscht sein, weil die Menschen Angst vor dir haben.« Kiat Gorina hat, so scheint es, damit zu leben gelernt.