Vor 150 Jahren starb Friedrich Rückert

28.1.2016, 18:59 Uhr
Vor 150 Jahren starb Friedrich Rückert

© Horst Linke

Im Jahr 1837 erschien im Erlanger Verlag von Carl Heyder ein ganz erstaunliches Büchlein von Friedrich Rückert: der Gedichtzyklus „Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannssohnes. 1829“. Lyrisch in Romantik schwelgend führt der Dichter darin in seine Jugendzeit im Dörflein Oberlauringen bei Schweinfurt zurück, wo der Vater als Amtmann am freiherrlich Truchseß’schen Justiz- und Kameralamt tätig war. In über 40 Gedichten berichtet Rückert von unbeschwerten Tagen, ohne dabei einen Anspruch auf historische Authentizität zu erheben.

Dichter und Sprachgelehrter

Geschichtsschreibung ist es somit nicht, was Rückert hier betreibt; er lässt die widrigen Zeitläufte außen vor und beschwört Idyllen, vielleicht auch nur solche, die er sich einbildet.

Tatsächlich aber entsteht vor den Augen des Lesers ein ziemlich geschlossenes Dorf-Bild mit vertrauten Landschaften, fleißigen Handwerkern, einem tüchtigen Vater oder skurrilen Nachbarn – ein Sittenbild aus dem 19. Jahrhundert: „Wenn wir spielen Haschen, / Fliehe nicht mit raschen / Schritten, aber flieh! / Leise leis’ entweiche, Dass ich dich erreiche / Nicht im Lermen hie, / Sondern einsam dort am stillen Teiche; / Sieh, den Apfel weiß und roth geb’ ich dir dort zu naschen!“

Rückert war aber nicht nur einer der produktivsten Dichter seiner Zeit – das mehrbändige „Liedertagebuch“ gilt als das größte Poesiewerk des 19. Jahrhunderts – er war auch ein Sprachgenie und vor allem einer der eifrigsten und profundesten Übersetzer fernöstlicher Lyrik. Chinesisch konnte Friedrich Rückert wohl nicht. Ansonsten aber beherrschte er 44 Sprachen, mit denen er sich übersetzend, lehrend oder wissenschaftlich auseinandersetzte, von Afghanisch über Estnisch und Hawaiisch bis Türkisch.

Die Araber, Perser, Inder und Griechen waren, so schreibt seine Biografin Annemarie Schimmel, „seine Geistesfreunde“. Heldengeschichten, Volkslieder und Sagen aus den fernen, geheimnisvollen Ländern hat er ins Deutsche übertragen und ihren Zauber für seine Leser erschlossen.

Seine Übersetzung des Koran blieb unvollendet; sie zeichnet sich jedoch durch ein sehr feines Gespür für den Klang der Originalsprache aus, den Rückert in seiner Muttersprache adäquat wiederzugeben versuchte.

Der Erlanger Professor für Semitische Philologie und Islamwissenschaft, Hartmut Bobzin, meint zur Arbeit Rückerts: „Es wird immer wieder gesagt, Rückert hat den Koran poetisch übersetzt, das stimmt nicht uneingeschränkt. Gerade die Suren, die danach schreien, von einem Poeten übersetzt zu werden, hat er gelassen. Dafür hat er zwei Suren, in denen die Probleme der ganzen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Mekka und Medina im Vordergrund stehen, vollständig übersetzt und sogar kommentiert. Weil er einen Querschnitt des Korans geben wollte, der alle Stilarten und Stilhöhen wiedergibt.“

1826 wurde Rückert in Erlangen Professor für orientalische Sprachen und Literaturen. Er blieb, bis ihn König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berief. Im Erlanger Schlossgarten steht seit 1904 zur Erinnerung der Rückert-Brunnen.
Überhaupt taucht der Name des Dichters heute noch häufig auf: es gibt zahlreiche Rückert-Gymnasien und -Denkmäler an den Orten seines Wirkens. Die Stadt Coburg verleiht seit 2008 den Rückert-Preis, dessen „Motto“ mit „Weltpoesie ist Weltversöhnung“ umschrieben werden kann. Dementsprechend weist die Auswahl der Gewinner sehr weit über den engen fränkischen Raum hinaus, in dem sich der Namensgeber – physisch, nicht geistig! – bewegte. Bisherige Preisträger waren der ägyptische Romancier Ala al-Aswani, der iranische Lyriker Esmail Khoi, der Syrer Nihad Siris; im Jubiläumsjahr geht der Preis an die türkische Autorin Sema Kaygusuz.

Zu seinen wichtigsten und zugleich zu den erschütterndsten lyrischen Werken in deutscher Sprache gehören die „Kindertotenlieder“. Etwa 400 Gedichte werden zu dem Zyklus gerechnet, sechs davon vertonte Gustav Mahler. Rückerts Kinder Ernst und Luise starben beide kurz hintereinander an Scharlach und sind auf dem Erlanger Friedhof begraben.

Um ihren nicht verkraftbaren Verlust kreisen die Lieder, die von dem Leiden des hilflos Zurückgebliebenen erzählen: „Sie haben das Herz aus der Brust mir genommen / Und haben’s gelegt in ein Grab; / Das Leben, es ist mir abhanden gekommen, / es ist mir gegangen hinab. / Ihr Seufzer beklommen, / Ihr Augen verschwommen, / Wie seid ihr entkommen? / Ich gab / Euch alle ja mit in ihr Grab.“

Der Wanderer

Rückert war viel unterwegs in seinen fränkischen Jahren. Zu Fuß natürlich. Heute kann man diesen Spuren folgen auf dem markierten Rückert-Wanderweg, der von Schweinfurt, der Geburtsstadt des Dichters, durch die Haßberge bis hinauf nach Neuses bei Coburg führt. Die Gestalter dieses Weges versprechen Inspiration: „Der Friedrich-Rückert-Wanderweg ist auf seine Art wohl einmalig. Wer in ihm nur eine Wanderstrecke von 143 km sieht, wird ihn nicht in dem Sinn erleben, in dem er gemeint ist. Man sollte in dem Wanderweg eine Anregung sehen und sich möglichst vor Wanderbeginn mit dem Leben des Dichters und Gelehrten vertraut machen.“

Der 2007 in Bamberg verstorbene Übersetzer und Schriftsteller Hans Wollschläger („Ulysses“, „Herzgewächse“) sagte 1997 anlässlich der Eröffnung des Rückert-Hauses in Neuses: „Sein gesamtes Werk, diese auch quantitativ unvergleichlich gewaltigste Unternehmung, hat eine Vision, wie sie – so hochkomplex und naiv zugleich – keine andere Lebensanstrengung der Poesiegeschichte ähnlich übergreifend und alles bestimmend beherrscht –: „Weltversöhnung“ nannte er dieses Ziel. Er war kein Heimatpoet: Nein. Er war ein Welt-Denker und -Dichter von allergrößter Statur: das von ihm gedachte und gedichtete Lebensdunkel wird weiter für unser dunkles Leben leuchten: „Alles was ein Herz empfunden / Und empfindet, / Ist verschwunden / Und verschwindet, / Wie das Herze selber schwand, / Das empfand“.

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