Wahn und Wirklichkeit beim Nürnberger "Theater 4"

8.4.2018, 20:00 Uhr
Wahn und Wirklichkeit beim Nürnberger

© Foto: Rurik Schnackig

Wie gut, dass mit Sascha Bierl ein ehemaliges Theatermitglied in Berlin lebt und für das Stück im Festsaal die große Ausfallstraße im Osten Berlins filmisch perfekt eingefangen hat – mal auf der Fahrt in der Straßenbahn, mal zu Fuß mit subjektiver Kamera, mal in ruhigen Einstellungen von graffiti-verschmierten Hauseingängen und tristen Hinterhöfen.

Vor dieser eingespielten Kulisse liefern die 13 Schauspieler unter der Regie von Reinhard Weirauch in schnellem Szenenwechsel ein vielgestaltiges Bild vom gut- oder kleinbürgerlich bis zum prekären Leben in der Metropole. Zunächst scheinen die Junkies auf der Straße nichts mit dem alten Hundebesitzer-Ehepaar (Sabine Trennert und Matthias Merzbacher) im Spießer-Wohnzimmer zu tun zu haben. Und dem Gemüsehändler Rudolf (Bernd Fischer) ist seine neue langbeinige Angestellte mit Spitznamen "Giraffe" (Laura Wörlein) eher fremd. Aber als ihm ein Albtraum sein Lebensende binnen 24 Stunden prophezeit, wird Rudolf plötzlich zum Draufgänger, der sich in das Mädel verliebt. Und der Hund des Ehepaares mutiert zum Wolf, der die Freundin von "Giraffe" anfällt.

Die Menschen in der Großstadt suchen nach Liebe, begegnen sich, sind aufeinander angewiesen, und bleiben sich doch fern. Wahn und Wirklichkeit verschmelzen. Die Junkie-Frau (Christine Gleich), die sich den goldenen Schuss gesetzt hat, kehrt als Engel an ihre Kasse bei Aldi zurück – doch ihre Kolleginnen können sie nicht mehr sehen. Der Hundebesitzer verbreitet auf der Greifswalder Straße deutsches Liedgut, ohne dass ihm jemand zuhört. Der einsame Alki (Benny Hluchy) kann in seiner Stammkneipe die künftigen Krankheiten seiner Saufkumpane vorhersehen. Doch als sich ihm eine Frau an den Hals werfen will, rennt er davon.

Dieser verstörenden Szenerie von Entfremdung und Sinnlosigkeit setzen die Macher des Theaters 4 einen Hoffnungsschimmer entgegen. Ein junges Punkerpärchen (Moïra Rabussiere und Erik Streit), das lange nicht zueinander findet, erlebt Nähe und Geborgenheit auf der Parkbank inmitten der hektischen Großstadt. Da macht es nichts aus, dass das Goldkettchen, das er ihr schenkt, nur aus Plastik ist. Die Liebe kommt, wenn man sie nicht so verzweifelt sucht.

Schnelle Wechsel

Dank der technisch perfekten Filmkulisse gelingen die schnellen Szenenwechsel dynamisch und spannungsreich. Und trotz der oft eher sekundenlangen Auftritte entwickeln die Schauspieler ihre Charaktere dicht und glaubhaft. Das wirkt am berührendsten in den Momenten, wo die Akteure ganz allein sind. Der Alkoholkranke sucht immer nach der nächsten Chance zum Überleben. Der Hundebesitzer schreit seine Einsamkeit singend heraus. Das Szenemädchen (Lisa Stützer) hält sich an ihrem sexuellen Marktwert fest: "Ich heirate mal einen Bankdirektor!" Leider gibt es von denen nur so wenige.

Bis Dienstag, 10. April, täglich um 19.30 Uhr im Nürnberger Künstlerhaus, Königstraße 93, Kartenvorverkauf unter www.theater4.de

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