Warum das pfälzische "Tatort"-Experiment scheitert

26.2.2017, 21:30 Uhr
Alles improvisiert, alles gut? Beim "Tatort" aus Ludwigshafen läuft nicht alles nach Plan.

© SWR/Martin Furch Alles improvisiert, alles gut? Beim "Tatort" aus Ludwigshafen läuft nicht alles nach Plan.

Vergangene Woche flimmerte mit "Tanzmariechen" noch ein typischer Durchschnitts-"Tatort" über den Sender. Der neue Fall aus Ludwigshafen ist dagegen so ziemlich der ungewöhnlichste Krimi in der Geschichte der Sonntagabendreihe. Weil ein herkömmliches Skript fehlt. Und professionell geschulte Schauspieler. Doch Moment: Kein Drehbuch? Keine Schauspieler? Is' ja eigentlich wie immer.

Aber Spaß beiseite. Hinter diesem Projekt stecken ein ernster Gedanke und SWR-Fernsehspiel-Chefin Martina Zöllner. Sie will mit Modernisierungsmaßnahmen dem in die Jahre gekommenen Ludwigshafener "Tatort" einen lebendigeren, authentischeren Look verpassen. So darf übrigens auch wieder mehr Mundart gesprochen werden, was in "Babbeldasch" unüberhörbar ist.

Axel Ranisch liebt Improvisation

In Filmemacher Axel Ranisch sieht Zöllner den geeigneten Mann, der die immer flacher gewordenen Folkerts-Fälle wieder auf Kurs  bringen soll. Der Berliner hat sich in der jüngeren Vergangenheit mit ehrlichen, herzlichen und charmanten Produktionen wie "Alki, Alki" und "Ich fühl mich Disco" einen guten Ruf in der Branche erarbeitet. Typisch für Ranisch ist, dass er sich selbst gar nicht als Regisseur betrachtet. Vielmehr favorisiert er die Bezeichnung Spielleiter. Sein Credo lautet: Improvisation. Die Schauspieler in seinen Stücken lernen keine Dialoge auswendig. Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Einander zuhören und vor allem authentisch reagieren - das ist für Ranisch von elementarer Bedeutung. Die Akteure dürfen in jeder Szene überraschen. Dafür bereitet er lediglich den Boden. Proben gibt es keine. Stattdessen erklären er und sein stets an seiner Seite stehender Coach Peter Trabner den ersten Take zum Heiligtum.

Tödliches Croissant

Der findet im Ludwigshafener Mundarttheater "Babbeldasch" statt, wo Lena Odenthal mit Kollege Becker gerade eine Aufführung besucht. Der Abend endet abrupt: Hauptdarstellerin und Theaterleiterin Sophie Fettèr (Malou Mott) stirbt während der Vorstellung an einem allergischen Schock. Anscheinend ein Unfall, aber Lenas Neugier ist geweckt. Gut möglich, dass der tödliche Mohn in der Füllung eines Croissants Sophie Fettèr mit Absicht untergeschoben wurde. Die tote Sophie verfolgt Lena nun sogar bis in ihre Träume. Derart beeinflusst nimmt Odenthal inkognito Kontakt zu den Theaterleuten auf und lernt dabei eine bunte Schar Verdächtiger kennen, deren pfälzischer Dialekt zuweilen schwer zu verstehen ist.

Weil Ranisch chronologisch drehte, war das Ende mehr oder weniger offen. Weder die Kommissare, noch die Ensemblemitglieder wussten vor Drehbeginn von "Babbeldasch", was nach der ersten Aufnahme weiter passieren würde, geschweige denn wer der Mörder ist. Vor jeder Szene gab es lediglich ein Gespräch - Treatment genannt - zwischen dem Spielleiter und den beteiligten Akteuren, die hauptsächlich Laiendarsteller des real existierenden Ludwigshafener Amateur-Theaters "Hemshofschachtel" sind.

Odenthal und Stern begraben Kriegsbeil

Der technisch ansprechende, mit Hand- und 360-Grad-Kamera gefilmte, Krimi ist definitiv ein ungewöhnlicher "Tatort". Er versprüht in einem ganz speziellen Setting aus Bühne, Ermittlung und Traumgeschehen jede Menge Charme. Außerdem liefert er einige interessante Wendungen innerhalb des Präsidiums wie beispielsweise die plötzlich endende Dauer-Fehde zwischen Odenthal und Kollegin Stern (Lisa Bitter).

Trotzdem mag das Experiment nicht so recht zünden. Das fehlende Drehbuch sorgt zwar für die gewünschte Lockerheit und gibt den Akteuren Raum, sich frei entfalten zu können. Doch die spontanen Dialoge unterscheiden sich kaum von Konversationen mit einem zugrundeliegenden Skript. Sie gehen zu selten über das übliche und für einen Krimi typische Frage-Antwort-Spiel hinaus. Nach einer Weile beginnen sie sogar etwas zu langweilen.

Außerdem sind die schauspielerischen Defizite der Laiendarsteller unübersehbar. Der SWR scheint mit dem ersten Impro-"Tatort" aus den Händen von Axel Ranisch dagegen voll und ganz zufrieden zu sein. So haben kürzlich gar die Dreharbeiten zu einem weiteren Fall ohne Drehbuch aber mit dem Spielleiter auf der Kommandobrücke begonnen. Wer's braucht.

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