Wie ein Erbe zum Kunst-Krimi wurde

13.12.2018, 17:00 Uhr
Wie ein Erbe zum Kunst-Krimi wurde

© Foto: Privatbesitz/Städtische Museen

Im Haus der Eltern von Laurent Pradel hatte das schmucke Altärchen seit Jahrzehnten einen festen Platz im Salon. Für den heute 64-jährigen Franzosen, von Beruf Maschinenbau-Ingenieur und zugleich ein großer Kunstliebhaber, gehörte es zur gewohnten Umgebung. Als sein Vater vor zwei Jahren starb, erbte Pradel auch den Altar und schaute ihn sich seit langer Zeit wieder ganz genau an. Erst da entdeckte er das Monogramm Albrecht Dürers auf der linken Tafel der Schauseite – und wusste schnell: Das ist ein Fall für die Experten in Nürnberg.

"Es ist schon sehr spannend, wie aus einer Sache, die zum vertrauten Alltag gehört, plötzlich eine Geschichte wird", sagt Pradel, der zur Ausstellungseröffnung mit seiner Frau nach Nürnberg gekommen ist. Dürer-Haus-Leiter Thomas Schauerte ergänzt schmunzelnd: "Aber den Täter werden wir niemals finden."

Mit dem "Täter" ist der Maler der Altartafeln gemeint. Er wird für immer unbekannt bleiben. Umso genauer wurde das Kunstwerk selbst unter die Lupe genommen. Das stellt laut Schauerte schon deshalb eine außergewöhnliche Rarität dar, weil es aus der Barockzeit stammt, also aus einer Epoche, in der die Blütezeit der Dürer-Nachahmungen vorbei und auch die spätmittelalterliche Form des Altars aus der Mode gekommen war.

Dem namenlosen Schöpfer des Werks war das offenbar egal. Der linke Flügel mit dem AD-Monogramm orientiert sich unverkennbar an Dürers Holzschnitt "Martyrium des Hl. Johannes" aus der "Apokalypse" von 1498, der rechte an dem Dürer-Blatt "Enthauptung der Hl. Katharina". Die Mitteltafel mit der Anbetung des Christusknaben zitiert allerdings nicht Dürer, sondern Lucas van Leyden – beide Meister ihrer Zeit, deren Wertschätzung auf Gegenseitigkeit beruhte.

Die Außenflügel, die bei geöffnetem Altar nicht zu sehen sind, wurden eigens für die Ausstellung als Fotokopien angefertigt (inklusive der täuschend echt aussehenden Holzrahmen). Auf ihnen finden sich wiederum zwei Dürer-Motive – die Beweinung Christi und die Kreuzigung aus der "Großen Passion" von 1511.

Wichtige Hinweise zur Provenienz und Entstehungszeit des Altars fand Andreas Curtius von den Städtischen Kunstsammlungen auf der Rückseite des Altars. Er identifizierte zwei dort angebrachte Wachssiegel als Wappen der Grafen von Ursel und der Grafen von Hornes. Beide waren mächtige flandrische Adelsgeschlechter, die sich durch die Hochzeit des Grafen François d’Ursel mit Honorine de Hornes 1662 verbanden. Curtius vermutet den Bräutigam auch als Auftraggeber für das Altärchen.

Wann es aus einem der gräflichen Herrensitze in das Kloster Cysoing kam, kann er zwar nicht sagen, sicher aber ist, dass es dorthin gelangte. Das geht nicht nur aus einem rückseitigen Zettel, sondern auch aus dem oben angebrachten Brandwappen hervor, das von Mitra und Abtsstab gekrönt wird. Laut Curtius könnten der Graf oder seine Nachfahren den Altar an das Kloster gestiftet haben. Nach der Plünderung der Abtei 1792 gelangte das Werk dann irgendwann in den Kunsthandel, wo es Laurent Pradels Urgroßvater erwarb.

Gerahmt von Drucken der Dürer-Originale aus dem eigenen Depot bildet der "fremde Schatz" nun bis 3. März das Highlight für jeden Dürer-Haus-Besucher. Und Pradel ist glücklich über das Ende eines "Krimis", bei dem nicht alle, aber sehr viele Geheimnisse gelüftet wurden.

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