Wie man mit dummen Lügen an die Macht kommt

21.11.2016, 12:15 Uhr
Wie man mit dummen Lügen an die Macht kommt

© Foto: dpa

Konrad Heiden hatte seit den Münchener Anfängen der Nazis für die liberale Frankfurter Zeitung geschrieben. Er hat Ende 1932 ein Buch über die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland verfasst und 1936, schon im Exil in den USA, die erste Biografie über Adolf Hitler. Sie ist damals im Zürcher Europa-Verlag erschienen und vor einigen Jahren neu aufgelegt worden.

Die Zeitgenossen Heidens lernten leider nicht aus dem, was Heiden begriffen hatte: Das Faszinierende an Hitler war nicht er selbst, sondern sein Publikum. Oft ist inzwischen das angebliche „Charisma“ Hitlers als Ursache für seine Wirkung genannt worden, seine mörderische Demagogie, seine rhetorische Durchtriebenheit. Man kann sich das heute kaum vorstellen, wenn man ex post, also vom katastrophalen Ergebnis her zurückdenkt.

Heiden hat diese Wirkung auf die Zuhörer damals erlebbar gemacht, die Leser seiner Artikel hätten in die Zukunft blicken können. Heiden war in einem sozialdemokratischen Milieu aufgewachsen. Seine Mutter Lina Deutschmann war Jüdin und hatte in der Kindheit Heidens engen Kontakt zu feministischen Frankfurter Kreisen, war dort mit der Frauenrechtlerin und Sozialdemokratin Henriette Fürth befreundet. Hitler erkannte in Heiden seinen größten publizistischen Feind, der ihn und sein Publikum durchschaut hatte.

Stefan Aust war von der Lektüre der Hitler-Biografie Heidens so beeindruckt, dass er in mehr als fünfjähriger Arbeit dessen Leben so gut es ging rekonstruieren und nachzeichnen wollte. Entstanden ist ein Meisterwerk empathischer Biografie. Aust lässt Heiden so oft zu Wort kommen, dass ein lebendiges Bild seines journalistischen Wirkens entstanden ist. Er verbindet die O-Töne aus den 1920er und 1930er Jahren mit eigenen Worten, die die sarkastische, warnende Intonation des Originals nachempfinden. So ist ein Werk aus einem Guss entstanden, das mehr zum Verständnis des Aufstiegs und der verführerischen Faszination Hitlers auf das deutsche Volk beiträgt als manche geschichtswissenschaftliche Veröffentlichung.

Sarkastischer Stil

Im Gespräch betont Stefan Aust, wie sehr er sich in die journalistische Arbeitsweise und den sarkastischen Stil Heidens vertieft hat. Aust war jahrelang Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, produzierte mit Spiegel TV zahlreiche Filme zum Nationalsozialismus, leitete den Nachrichtensender N24 und ist heute Herausgeber der Zeitung Die Welt. Er ist ein mit allen Wassern gewaschener Journalist und Publizist. In dieser Biografie über Konrad Heiden nimmt er sich selbst zurück und stellt sich voll in den Dienst dessen, der wie ein Orakel über alles schrieb, was Hitler noch anstellen sollte.

Dabei bezog sich Heiden auf Quellen, die jedermann zugänglich waren. Selbst die industriellen Methoden der Judenvernichtung nahm Heiden lange vor der „Endlösung“ visionär vorweg: „Die Nazis werden durch einen Druck auf den Knopf die Juden mit Gas ermorden“, hatte er um die Zeit geschrieben, als die Welt in Berlin zu Gast bei den Olympischen Spielen war. Er selbst schrieb später: „Ich habe Hitler in den Jahren seines Aufstiegs viele Dutzend Male aus nächster Nähe zugehört, ihn auch gelegentlich im privaten Zirkel aus geringer Entfernung beobachten können. Aber wenn dabei für mein damaliges Gefühl etwas Faszinierendes war, so war es das Publikum. Die Reden selbst: Alles Unsinn, alles gelogen, und zwar dumm gelogen, alles so lächerlich, dass jeder, so meinte ich, das doch sofort einsehen müsse. Stattdessen saßen die Zuhörer wie gebannt, und manchem stand eine Seligkeit auf dem Gesicht geschrieben, die mit dem Inhalt der Rede nichts mehr zu tun hatte, sondern das tiefe Wohlbehagen einer durch und durch umgewühlten und geschüttelten Seele widerspiegelte. Mein jugendliches Urteil über Hitler hat das nicht erschüttert; wohl aber begann ich, bestürzt, etwas über Menschen zu lernen.“

Wir verdanken der Biografie des Journalisten Aust über seinen 1901 geborenen und 1966 verstorbenen Kollegen einen authentischen Eindruck der Zeit des Aufstiegs von Hitler, seiner Demagogie und der immer aggressiver werdenden Opferhaltung seines Publikums, das diesen Aufstieg ermöglichte. Das Buch ersetzt viele Hitler-Biografien und ist angesichts des grassierenden Rechtspopulismus von herausragender aktueller Bedeutung.

Stefan Aust: Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden. Rowohlt, Reinbek. 384 Seiten, 22,95 Euro.

Verwandte Themen


Keine Kommentare