Nürnbergerin zeichnet internationale Coming-Out-Comics

20.11.2018, 10:27 Uhr
Nürnbergerin zeichnet internationale Coming-Out-Comics

© Marion Stephan

Sie ist ein Faschingsdienstagskind, 46 Jahre alt und fährt beruflich sehr gerne zweigleisig: die Nürnberger Comic-Zeichnerin und Diplom-Psychologin Martina Schradi. Ihr künstlerisches Sujet ist – was landläufig unter den Begriffen Randgruppe, Minderheiten subsumiert wird: Homosexuelle, Transsexuelle. Schradi macht die Individuen dahinter sichtbar. Ihre Comics drehen sich um Coming-out-Erfahrungen in der Schule, im Beruf, von Geflüchteten. Ihr eigenes Coming-out hatte Martina Schradi mit 25 Jahren. In der queeren Szene fühlt sie sich seither gut aufgehoben.

Für den ersten Band ihrer "Lach- und Sachgeschichten aus der LGBTI*-Welt" – das Kürzel LGBTI* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle – erhielt sie unter anderem 2014 den Michael-Schmidpeter-Sonderpreis (damit werden jährlich herausragende Publikationen zum Thema Homosexualität gewürdigt) und im Jahr darauf den ICOM-Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comic-Publikation.

Schradi zeichnet gegen Unterdrückung und Diskriminierung – und dies auf eine bewusst "einfache, freundliche und niedrigschwellige Weise". Kein Zeigefinger, keine Anklage. Die Nürnbergerin möchte die Thematik auf eine leicht zugängliche Art ins Bewusstsein rufen, will sensibilisieren, will "freundlich dazu einladen, sich Gedanken zu machen".

In rechtlicher Hinsicht hat sich für Homo- und Transsexuelle in Deutschland vieles zum Positiven verändert. Im Alltagsleben ist Akzeptanz dagegen noch immer keine Selbstverständlichkeit. Und die Situation hier ist wiederum eine ganz andere als die Lebenswirklichkeit von LGBTI in Saudi-Arabien oder Afrika.

Dazu kommt: Einmal Erreichtes ist kein Garant für einen dauerhaften Zustand: "Am Ball bleiben, beharrlich bleiben", sagt Martina Schradi deshalb. Denn die Stimmen, die mit der rechtlichen Gleichstellung von Homosexuellen ganz offensichtlich erhebliche Probleme haben, werden doch auch in Deutschland wieder eher lauter. Negative Resonanz auf ihre Arbeit hin kennt sie ebenfalls, "doch die positiven Rückmeldungen waren 1000-fach größer", hält sie fest.

Engagierte Biografienarbeit

Die einzelnen Geschichten hinter den Comic-Zeichnungen sind sämtlich biografisch. Kein Coming-out ist wie das andere. Manche sind leicht, viele noch immer schwer und schmerzlich. Sich zu öffnen, setzt Vertrauen voraus. Wie sie die Kontakte hergestellt hat? "Ich habe zunächst in meinem Freundes- und Bekanntenkreis herumgefragt. Dann erschien im Berliner Tagesspiegel ein Artikel zu meinem Comic-Projekt und darüber habe ich wiederum sehr viele Rückmeldungen bekommen."

Mit ihren einfühlsamen Zeichnungen hat Martina Schradi einen Nerv getroffen. Ihre Arbeit ist gefragt, nicht zuletzt bei Schulen, in denen einzelne gezeichnete Geschichten in Postergröße zum Gedankenmachen einladen. Viel von der Welt gesehen hat inzwischen die Wanderausstellung zum Comic, darunter mehr als 200 Orte in Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Finnland, Belgien, Tunesien und Kanada. Auf dem Comic-Salon Erlangen war die Zeichnerin heuer vertreten und wegen einer Ausstellung unter anderem in der Ukraine (Odessa) unterwegs gewesen.

Aktuell steht die spanischsprachige Variante von "Ach, so ist das?!" auf ihrer To-do-Liste, inklusive Poster und einem kleinen Heft – und sie möchte an längeren Comic-Storys arbeiten. Die bisherigen waren ja ganz bewusst so kurz gehalten, damit sie "auch auf ein Poster passen". Schradi liebäugelt ferner mit einer Comic-Anthologie queerer Autorinnen und Autoren. "Es gibt nämlich viel mehr als man denkt." Und die nächsten Anfragen für Comic-Lesungen liegen auch schon vor, diesmal aus Chemnitz und Hamburg.

Dem Zeichnen widmet sie dennoch nur ihr halbes Arbeitsleben: Schradi ist ausgebildete Diplom-Psychologin und als solche mit einer halben Stelle an der Technischen Hochschule in Nürnberg beschäftigt sowie zwei-, dreimal im Jahr als Dozentin an der Uni Basel engagiert. 

Die Comics "Ach, so ist das?! Band 1" und Band 2: "Weitere Lach- und Sachgeschichten von und über LGBTI*" von Martina Schradi sind im Zwerchfell-Verlag erschienen.

 

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