Der Deutsche Presserat: Ein zahnloser Tiger?

13.2.2016, 14:00 Uhr
Der Deutsche Presserat: Ein zahnloser Tiger?

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Herr Tillmanns, ist der Pressekodex noch zeitgemäß?

Lutz Tillmanns: Er ist zeitgemäßer als er jemals war. Gerade in Zeiten, in denen über die Glaubwürdigkeit von Medien diskutiert wird, ist es wichtig, dass sie - wie im Pressekodex festgeschrieben - sorgfältig arbeiten, gut und fair recherchieren. Und eben auch nicht diskriminieren und polarisieren um des Polarisierens willen.

Der Deutsche Presserat: Ein zahnloser Tiger?

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Und das sehen auch die Leser so?

Tillmanns: Die Zahlen sprechen ja für sich: Wir haben von Jahr zu Jahr Zuwachs von 20 bis 30 Prozent an Beschwerden. Es ist ein Indiz dafür, dass die Leserschaft an Qualität interessiert ist - zunehmend stärker.

Immer mehr Beschwerden beziehen sich auf Online-Beiträge - ist der Presserat dafür gewappnet?

Tillmanns: Da sind wir gut vorbereitet. Sicherlich sind durch die Digitalisierung neue Themen dazugekommen, über die wir diskutiert und uns eine ethische Position dazu gebildet haben - etwa der Umgang mit Forenbeiträgen.

Da liest man ja teilweise Sachen, die an der Schmerzgrenze sind.

Tillmanns: Wir bekommen unterschiedliche Beschwerden. Zum einen von Nutzern, deren Posts gelöscht wurden und nun von Zensur sprechen. Da müssen wir aufklären und sagen: Das ist mitnichten Zensur. Vielmehr muss die Redaktion, die das Forum betreibt, den Beitrag selbstverständlich prüfen und sie kann sich dann auch gegen seine Veröffentlichung entscheiden - ähnlich wie bei Leserbriefen. Auf der anderen Seite prüfen wir die Verantwortung der Redaktion für die menschenunwürdigen Darstellungen oder Hasstiraden von Usern aufseiten des Mediums - die die Redaktion aber irgendwie nicht mitbekommen oder nicht moderiert hat. Darüber entscheiden wir auf der Basis des Pressekodex.

Im Internet sind Informationen verfügbar, die Redaktionen - auch in Hinblick auf den Pressekodex - nicht veröffentlichen. Müssen klassische Medien sich da nicht anpassen?

Tillmanns: Ich bin kein Freund von kopflosem Nachgeben. Klar ist, dass sich das Publikum ein Stück gewandelt hat. Die journalistischen Medien haben nicht mehr die alleinige Erklärungshoheit. Es sind viele Informations- und Nachrichtengeber unterwegs - viele davon nichtjournalistisch. Die Redaktionen sind in einer ungemein schwierigeren Situation, diese auf Relevanz und Qualität zu prüfen. Und sie müssen aufpassen, dass sie keinen Falschmeldungen auf den Leim gehen. Von Bösmeinenden wird das als Wahrheitsverdrehung ausgelegt. Das ist es aber natürlich nicht. Langfristig können die journalistischen Medien nur durch Qualität überzeugen. Eine Orientierung an guten handwerklichen Regeln, das Setzen auf eine gute Aus- und Fortbildung und auf die ethische Orientierung wie den Pressekodex ist da wichtig.

Besonders diskutiert wird die Richtlinie 12.1. des Pressekodex, die die Nennung der Nationalität bei Straftaten auf Fälle beschränkt, in denen sie einen Tatbezug hat - wird die Richtlinie Bestand haben?

Tillmanns: Es ist ja nicht zu übersehen, dass aus der Leserschaft viele ihre Abschaffung fordern: Sie wollen wissen, welcher Nationalität ein Tatverdächtiger angehört. Wir auf der anderen Seite haben sehr gute Gründe für diese Regel, man muss aber vielleicht über eine zeitgemäßere Auslegung nachdenken. Das Verbot zu Diskriminieren ist aber etwas ganz Grundsätzliches. Richtlinie 12.1. greift aus diesem Komplex die Kriminalberichterstattung heraus: Da verzichtet die Presse auf Nennung der Nationalität, wenn sie eine diskriminierende Wirkung und Stereotypisierung zur Folge hat. Aber es gibt kein Verbot, denn selbstverständlich ist es zulässig die Nationalität zu benennen, wenn sie für das Verständnis von Bedeutung ist.

Wie könnte die Richtlinie verändert werden?

Tillmanns: Falls eine Änderung stattfindet, dann erst im zweiten Schritt. Zunächst werden wir mit Experten, Kritikern und Befürwortern sprechen und in einem Diskursprozess ausloten, ob es Handlungsbedarf gibt. Nicht alles, was theoretisch berichtet werden kann, muss berichtet werden - weil es eben irrelevant ist.

Aber bei den Ereignissen rund um die Kölner Silvesternacht war die Nennung der Herkunft relevant.

Tillmanns: In Köln halte ich die Berichterstattung für zulässig, weil es für das Verständnis notwendig war. Wenn es eben Angehörige aus nordafrikanischen Flüchtlingsgruppen waren - wie von Zeugen, Opfern und Polizei geäußert -dann muss man das als Presse darlegen.

Wie viele Beschwerden gab es nach Köln?

Tillmanns: Unmittelbar einige Dutzend. Insgesamt liegen etwa 130 Beschwerden in diesem Jahr vor.

Wenn es darum geht, gewisse Richtlinien zu ändern, wäre es da nicht sinnvoll auch Leser miteinzubeziehen?

Tillmanns: Wenn wir mit Wissenschaftlern oder Vertretern der betroffenen Organisationen diskutieren, sind das ja auch Leser, die etwas über Wirkung von Beiträgen sagen können. Aber der „anonymisierte Leser“ ist nicht mit in den Gremien. Die Leserschaft ist immer von Bedeutung, aber wir haben sie nicht speziell mandatiert.

Wird der Presserat mit seinem Instrumentarium ernst genommen oder ist er nicht ein zahnloser Tiger?

Tillmanns: Wenn ein guter Ruf verloren geht, tut das am meisten weh. Und damit agieren wir: Wir thematisieren Missstände und mögliche Auswüchse. Ich habe ganz und gar nicht den Eindruck, dass das zahnlos ist.

Der Deutsche Presserat

Der Der Deutsche Presserat, eingetragen als Trägerverein des Deutschen Presserats e.V.[1], ist eine Organisation der großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände[/1]Der Deutsche Presserat hat seine publizistischen Grundsätze als „Pressekodex“ ausgearbeitet, eine Art Ehrenkodex für Medienvertreter.

Der Pressekodex ist das ethische Regelwerk für die journalistische Arbeit. Es enthält klare Spielregeln hinsichtlich einer verantwortungsvollen Berichterstattung und eines angemessenen journalistischen Verhaltens. Hierzu gehören vor allem die Regeln zur Achtung der Wahrheit, zur Sorgfaltspflicht bei der Recherche sowie zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte.

Verstößt ein Presseunternehmen in Print- oder Onlinemedien gegen einen oder mehrere dieser publizistischen Grundsätze, ist es jedem möglich, eine Beschwerde beim Presserat einzureichen.

Hinweis

ergeht an die betreffende Redaktion bei geringeren Verstößen gegen den Kodex, nicht-öffentlich.

Missbilligung

ergeht für schwerere Verstöße gegen den Kodex, nicht-öffentlich. Nach § 15 Beschwerdeordnung besteht keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung.

Rüge

härtestes Sanktionsmittel: Öffentliche Rügen muss das Medium abdrucken. Nicht-öffentliche Rügen werden ausgesprochen bei schwerwiegenden Verstößen, wenn sich eine weitere Veröffentlichung aus Gründen des Opferschutzes verbietet.

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