Die Seele des Verbrechens

29.8.2011, 11:26 Uhr
Die Seele des Verbrechens

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Deswegen kommt den Psychiatern vor Gericht eine immense Bedeutung zu. Gleichwohl sagt Hans-Ludwig Kröber: „Wir werden von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen.“ Der 60-Jährige ist Deutschlands wohl bekanntester Kriminalpsychiater. Kaum ein spektakulärer Prozess ging in den vergangenen Jahrzehnten ohne sein Beisein über die Bühne - zu den jüngsten Beispielen gehört der Kachelmann-Prozess.

In dem Verfahren vor dem Landgericht Mannheim hatte Kröber allerdings nicht den angeklagten TV-Moderator Jörg Kachelmann zu begutachten, sondern die Nebenklägerin – das angebliche Opfer des freigesprochenen Schweizers. Vorangegangen sind viele andere spektakuläre Verfahren: So hat der Mediziner den Mörder des kleinen Mitja aus Leipzig begutachtet und den Sexualstraftäter im Dresdner „Fall Stephanie“. Auch als Sachverständiger für den RAF-Terroristen Christian Klar war Kröber einst vorgesehen – doch Klar verweigerte beharrlich jedes Gespräch.

Eine Erfahrung, die der Leiter des forensischen Instituts der renommierten Charité in Berlin eher selten macht. „Die meisten Leute wollen gern über sich selbst reden“, sagt er. Oft ist Kröber der erste, der sich für die Lebensgeschichte der Straftäter interessiert. Dabei hilft ihm seine Gesprächstechnik und dass er sich akribisch vorbereitet. Meist beginnt er die Gespräche mit ein wenig Smalltalk über Fußball oder Fernsehen – doch im Gesprächsverlauf hakt der gebürtige Bielefelder nach.

Wenn Kröber im Prozess dann seinen Sitzplatz an der Seite des Staatsanwalts einnimt – vis-à-vis zum Angeklagten - ist der Fall für ihn eigentlich fast abgeschlossen. Sein schriftliches Gutachten liegt der Strafkammer bereits vor. Im Prozess muss er die wesentlichen Punkte jedoch mündlich vortragen – so sieht es das deutsche Recht vor. Gelegentlich ergeben sich Ergänzungen durch eine Zeugenaussage oder das Verhalten des Angeklagten in der Verhandlung. „Insgesamt findet die entscheidende Arbeit jedoch vorher statt,“ erzählt Kröber. „Im Prozess sitzen wir Psychiater dann eher dabei – und das ist relativ langweilig.“

Kröber hofft auf spannende Aufträge

Gelassenheit sei daher eine wichtige Voraussetzung. „Wer dies nicht nach dem dritten Semester begriffen hat, erträgt den Beruf nachher nicht.“ Dieser hält zugleich spannende und zugleich dramatische Begegnungen bereit – insbesondere im Fall von Kröber. Und sobald er von interessanten Fällen hört, hofft er vom Gericht mit dem Gutachten beauftragt zu werden, gibt der 60-Jährige zu.

Zu seinen bekannten Fällen gehörte etwa der Peiniger der Dresdener Schülerin Stephanie. Mario M. war im Dezember 2006 vom Landgericht Dresden wegen Vergewaltigung, Geiselnahme, sexuellen Missbrauchs von Kindern und Körperverletzung zur Höchststrafe von 15 Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Er hatte die damals 13-jährige Stephanie Anfang 2006 fünf Wochen lang gefangen gehalten, sexuell misshandelt und gequält.

Verbrecher mit "schwerer seelischer Abartigkeit"

Im November 2006 war Mario M. vom Hof der JVA Dresden auf das Gefängnisdach geflüchtet, wo er unter permanenter Medienbeobachtung etwa zwanzig Stunden ausharrte. „Der war besonders, das war ein herausragender Fall“, erinnert sich Kröber. Mario M. habe genau gewusst, was er tat. Der Psychiater attestierte dem Verbrecher eine schwere seelische Abartigkeit, die jedoch die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigte. Er sprach sich für die Sicherungsverwahrung aus.

Generell ist Kröber eher ein Gegner des „Einsperrens für immer“. Aber für manche Straftäter gebe es nur diesen Weg. „Insgesamt empfehle ich aber heute mehr Entlassungen als früher“, berichtet Kröber, der die Länder Berlin und Brandenburg bei der Neugestaltung der Sicherungsverwahrung beraten hat. Die Therapie sieht er dabei nicht als „Allheilmittel“. Wichtigste Voraussetzung sei vielmehr ein intensives Arbeiten mit dem Gefangenen von Beginn der Haft an – und eine umfangreiche Betreuung bei der Entlassung.

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