Kritik an Haltern: "Die meisten haben keine Ahnung von Hunden"

11.4.2018, 20:30 Uhr
Staffordshire-Terrier-Mischling Chico tötete vor einer Woche seine Besitzer. Dies trat eine Diskussion über "Kampfhunde" los.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa Staffordshire-Terrier-Mischling Chico tötete vor einer Woche seine Besitzer. Dies trat eine Diskussion über "Kampfhunde" los.

Der Staffordshire-Terrier-Mischling "Chico" hat zwei Menschen in Hannover totgebissen. Dieselbe Rasse steckt dem ersten Anschein nach auch in "Kowu", der den kleinen Jannis im hessischen Odenwald getötet hat. Staffordshire-Bullterrier ist eine von vier Rassen, die auf allen Listen gefährlicher Hunde steht, vorausgesetzt die Bundesländer haben – wie Hessen – überhaupt eine, sagt Kathrin Roiner. Die Tierärztin aus Mainz hat ihre Doktorarbeit über Hundebisse geschrieben. Könnte ein Verbot der "Kampfhund-Rassen" tödliche Attacken verhindern? Nein, sagen Fachleute und fordern stattdessen einen bundesweit verbindlichen "Hundeführerschein".

Seit der kleine Volkan vor 18 Jahren in Hamburg von zwei freilaufenden American-Staffordshire-Mischlingen auf einem Schulhof zu Tode gebissen wurde, werde über ein Verbot diskutiert, sagt Professor Hansjoachim Hackbarth von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Wesenstests und Listen gefährlicher Hunde seien eine Folge gewesen – ohne überzeugenden Erfolg. "Die Gefährlichkeit eines Hundes hängt überhaupt nicht von der Rasse ab", sagt der Fachmann. Das hätten tausende Wesenstests gezeigt.

Keine Ahnung von Hunden

Das sieht auch die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin so. "Viele Leute haben nicht im Ansatz eine Vorstellung, was es heißt, einen Hund zu haben“, begründet sie die Forderung nach der Einführung eines deutschlandweit verbindlichen Hundeführerscheins. Sie kauften die Tiere nach Aussehen, Rasse oder Farbe – manchmal mit drei Klicks im Internet. "Wir setzen auch keinen ans Steuer, der nicht Auto fahren kann." Es liege einzig und allein am Halter und dem Verhältnis Halter-Hund, sagt auch Hackbarth. "Die meisten Leute haben keine Ahnung von Hunden." So mancher glaube, sein Hund lächle ihn an, wenn er knurrt.

Roiners hat in ihrer Doktorarbeit die Beißstatistik und den Hundebestand von 2012 in den Bundesländern untersucht: "Nirgendwo waren nur die gelisteten Hunde auffällig." Also die als gefährlich eingestuften. Und: "Die meisten Vorfälle passieren mit dem eigenen Hund." Also nicht wie es damals bei Volkan geschah, sondern so wie jetzt in Hannover und in Bad König im Odenwald. Meist bissen die Tiere in der direkten Aktion zu, Hundebesitzer übergingen oder übersähen zuvor oft Warnsignale. "Viele Unfälle passieren, weil die Leute nicht so viel Ahnung von hundetypischem Verhalten haben."

Auf Hinweise nicht reagiert

Zwar gilt ausgerechnet Niedersachsen mit seiner Sachkundeprüfung anstelle einer Liste gefährlicher Hunde bei den Fachleuten als Vorreiter. Doch muss diese Prüfung nur ablegen, wer sich nach dem 1. Juli 2011 einen Hund zugelegt hat, wie Dunia Thiesen-Moussa von der verhaltensmedizinischen Sprechstunde für Tiere an der Hochschule Hannover berichtet.

"Chicos" Halter fiel noch nicht darunter. Vielmehr hatte das Veterinäramt genau 2011 vom Amtsgericht Hinweise auf eine gesteigerte Aggressivität des Hundes und eine mangelnde Eignung des Halters erhalten. Es passierte aber nichts. Anfang April dieses Jahres biss der Mischlingshund dann den inzwischen 27-Jährigen und seine Mutter tot. Die Frau saß im Rollstuhl, er sei ebenfalls körperlich beeinträchtigt gewesen, sagt Hackbarth.

Die Sachkundeprüfung in Niedersachsen, die Hackbarth mitentwickelt hat, zeigt nach seiner Ansicht in der Praxis bereits Wirkung. Thiesen-Moussa findet die Prüfung – die sich in einen theoretischen und einen praktischen Teil untergliedert – etwas "sehr einfach". Der praktische Teil könne sogar mit einem fremden Hund abgelegt werden. Der "Hundeführerschein" an sich sei aber richtig.

Nie ohne Aufsicht

Der Umgang mit Hunden und Kindern sollte nach Einschätzung von Fachleuten auch dazu gehören. „Eltern muss bewusst sein, dass beide unberechenbar sind“, betont Thiesen-Moussa. Sie dürften die Kinder nie ohne Aufsicht mit dem Hund zurücklassen. "Ein Tier ist ein Tier und bleibt ein Tier", mahnt Martin, die selbst Kinder und Hunde hatte. Roiner empfiehlt das von der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft entwickelte interaktive Lernprogramm für besonders gefährdete Kinder unter acht Jahren. Dabei lernten sie unter anderem, vor jeder Interaktion mit dem Hund die Mutter zu fragen, und nicht etwa ein schlafendes Tier unter dem Tisch aus dem Schlaf zu reißen.

Bei Krabbelkindern wie dem kleinen Jannis aus dem Odenwald könne es passieren, dass sie sich plötzlich am Sofa hochziehen – dem bisherigen Stammplatz des Hundes, sagt Hackbarth. Wenn der Hund dann bei dem noch weichen Schädel eines so kleinen Kindes nur einmal zuschnappe, komme es sofort zu einer Hirnblutung. "Das liegt dann aber nicht an dem Hund, sondern an den Eltern und ihrer mangelnden Sachkenntnis."

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