Experten-Gespräch

Massenmedien sind nicht mehr gleich Massenmedien: Eine Branche im Wandel der Zeit

7.10.2021, 06:00 Uhr
Eine Branche im Wandel der Zeit: Ein Experten-Gespräch zum Thema Digitalisierung.

© e-arc-tmp-20210819_150238-1.jpg, NN Eine Branche im Wandel der Zeit: Ein Experten-Gespräch zum Thema Digitalisierung.

Jeder, wirklich jeder, hat das Wort Digitalisierung nicht nur schon einmal gehört, sondern setzt sich tagtäglich bewusst oder unbewusst damit auseinander. Aber was ist Digitalisierung überhaupt? "Digitalisierung ist im Endeffekt die Umsetzung von Prozessen oder Dingen, die man bisher analog gemacht hat", erklärt Markus Kaiser, Professor für Praktischen Journalismus an der TH Nürnberg, und fügt an: "Ganz platt formuliert: Aus der gedruckten Tageszeitung wird der Internetauftritt. Aber auch in der Produktion können digitale Schritte drinstecken." Aber Digitalisierung ist nicht mit einer kurzen Definition beschrieben. Ein zweiter Begriff ist die "digitale Transformation", die von der Digitalisierung unterschieden wird. "Digitalisierung ist, irgendetwas analoges wird digital gemacht und digitale Transformation umschließt dann auch neue Geschäftsmodelle, Arbeitsabläufe und Co. Sozusagen, wie passe ich mein ganzes Arbeiten und Geschäftsmodell an", so Kaiser.

Die Medienbranche hat ihr goldenes Zeitalter - im letzten Jahrhundert - bereits hinter sich und steckt tief in einem Wandel - vor allem wegen der Digitalisierung, aber nicht nur. Das Institut für Trend- und Zukunftsforschung (itz) listet sechs Entwicklungsschritte auf, die Tageszeitungen von der Vergangenheit in die Zukunft führen. Im fünften Schritt steigt auch hier die Digitalisierung mit ein: Das "Internet verändert Lesegewohnheiten und definiert Bedürfnisse um". Wir befinden uns Ende der 1990er Jahre, als der Siegeszug des Internets die Zeitungswelt auf den Kopf stellt und revolutioniert, denn bisher deckte die Zeitung ein breites Spektrum an Inhalten ab, nun war plötzlich der Leser oder besser gesagt der User individuell ansprechbar. Genau in dieser Zeit geht auch nordbayern.de online.

"Spezielle Inhalte wurden durch die Digitalisierung individuell"

"Spezielle Inhalte wurden durch die Digitalisierung individuell, das heißt in unterschiedlichen Medien und Formaten zugänglich ("unbundling")", erklärt das itz die Veränderung. Sportinteressierte bekommen Sport an jeder Ecke und jedem Ende, Wirtschaftsinteressierte bekommen Wirtschaftsthemen, und so weiter. Was gut für den User ist, hat selbstverständlich auch Vorteile für den Verkäufer, denn der kann seine Zielgruppe nun deutlich direkter ansprechen. Das Problem: der Verkäufer hat in dieser Zeit seine Inhalte – auch in den frühen 2000ern noch – meist kostenlos angeboten.

Die Problematik ist damit aber nicht zu Ende: Im sechsten und letzten Schritt des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung ("Nach den Massenmedien ist vor den Massenmedien") wird der Vergleich zwischen der heutigen globalen Nachrichtenlage und der "vor der goldenen Ära der Nachkriegszeit" (19. Jahrhundert) gezogen: "Glanzstücke der Recherche und der Meinungsbildung treten in Konkurrenz zu Blogs, Twitter, subjektiver Augenzeugenschaft, Regenbogen-Journalismus, Populismus, Gerüchteküchen, Verleumdungen - und Fake News."

Das Fazit des itz verbietet sich aber weitere Vergleiche zwischen historischen Parallelen und stellt fest: "Wichtiger ist jedoch, dass durch die SocialMedia Fake-News mit historisch einmaliger Wirksamkeit begonnen haben, das faktenbasierte und informationsorientierte Wahrheitsmodell unserer Öffentlichkeit zu zerstören. Um das zu verhindern, braucht unsere demokratische Öffentlichkeit ein neues Geschäftsmodell. Vor allem müssen wir verstehen, wie wir die Mediennutzer für Wahrheit und Wirklichkeit im 21. Jahrhundert begeistern können."

Thema Wahrheit und Wirklichkeit

Für Medienhäuser - vor allem aus dem Print-Bereich auf dem Weg ins digitale Zeitalter - ergeben sich somit verschiedene Herausforderungen, aber der Reihe nach. Das Thema Wahrheit und Wirklichkeit: Natürlich ist es nicht die Mehrzahl der Mediennutzer, die nicht mehr an der Wahrheit und Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts interessiert ist, sondern "gewisse Filterblasen", gerade im Social-Web, weiß auch Markus Kaiser. Aber wie bekommt man diese Gruppe - beispielsweise Corona-Leugner, die sich in einer solchen Filterblase befinden - dort wieder heraus? Kaiser erklärt: "Ich glaube nicht, dass es funktioniert, indem die wieder auf die klassischen Medien gehen. Da sehe ich wenige Auswege, als das Angebot zu machen und doch zu hoffen, dass man wieder auf die Wahrheit stößt. Da geht es nicht nur um Medien, die abgelehnt werden, es wird die ganze Wissenschaft abgelehnt."

Möglichkeiten gibt es viele damit umzugehen und dem entgegenzuwirken. "Was in meinen Augen am meisten helfen würde, wäre wahrscheinlich ein Fach Medienkunde oder Medienkompetenz in der Schule einzuführen", meint Kaiser. "Dass man den Unterschied zwischen Fakten, also einer Sachverhaltsebene, und Meinung, einer Deutungsebene, lernt und auseinanderhalten kann. Ich lerne mit Quellen umzugehen, ich lerne zu hinterfragen, woher kommen Informationen. Das ist der einzige Weg, wie man das langfristig schaffen kann."

Aber welche Rolle spielt die Digitalisierung hier für den Journalismus?

Aber welche Rolle spielt die Digitalisierung hier für den Journalismus? "Einmal habe ich jetzt Möglichkeiten einer gewissen Transparenz, die hatte ich früher nie", so Kaiser und fügt an, "ich habe die Möglichkeit, Quellen zu überprüfen". Das kann der User heute selbst machen, wo er früher auf den Journalisten vertrauen musste. Der Experte bezeichnet das als eine große Chance, die durch die Digitalisierung entsteht. Durch digitale Recherche-Tools bieten sich aber auch für Journalisten neue Wege, um beispielsweise Deep-Fakes (realistisch wirkende Medieninhalte, welche durch Techniken der künstlichen Intelligenz abgeändert und verfälscht worden sind) zu entlarven.

Eine große Gefahr der Digitalisierung sind bekanntlich Fake News. Bei diesem Thema verweist Kaiser darauf, dass es das auch schon am Stammtisch in der Kneipe gab, "nur die Verbreitung war nicht so groß". Während es früher die fünf Stammtisch-Freunde mitbekommen haben, wird es nun an Tausende verteilt, die sich in dem Netzwerk befinden. "Das ist glaube ich die große Gefahr, dass die Reichweite sozialer Medien viel größer und auch die Verbreitungsgeschwindigkeit viel schneller ist, als es in der analogen Zeit der Fall war", so der Experte. Das ist Chance und Gefahr, weil "da kommt man natürlich auch mit einer Richtigstellung im Nachgang nicht mehr weiter".

Für Medienhäuser erhöhen sich allein beim Thema Wahrheit und Wirklichkeit durch die neuen Medien die Möglichkeiten. Es kann mehr Transparenz gezeigt werden. Als Beispiel nennt Kaiser hier den Datenjournalismus: "Ich kann da noch einmal selber nachschauen, wie schaut es in meinem Stadtteil mit der Luftverschmutzung aus." Aber auch durch Links zu Originalquellen. "Generell ist es für den Journalismus eine gigantische und tolle Sache, dass man jetzt viel mehr Schubladen hat, aus denen man sich bedienen kann, um journalistische Darstellungsformen zu wählen. Für den Journalisten ist es eine Goldgräberstimmung, was durch die Digitalisierung entstanden ist", so Kaiser.

"Keine Journalismus-Krise, sondern höchstens eine Geschäftsmodell-Krise bei Printmedien"

Aber was läuft dann aktuell trotz der neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung bei Medienhäusern schief? Kaiser stellt fest: "Wir haben überhaupt keine Journalismus-Krise, sondern höchstens eine Geschäftsmodell-Krise bei Printmedien." Klassische Geschäftsmodelle brechen weg, dass aber laut Kaiser nicht erst seitdem es das Internet gibt. Die Möglichkeiten, um entgegenzuwirken sind auch hier vielfältig: Ob Links in Artikeln zu verkaufen, Paid-Content-Modelle, Stiftungsmodelle. Aber nicht in jedem Fall, funktioniert jedes Modell.

Kaiser stößt außerdem an, "dass der klassische, auch geteilte Zeitungsmarkt zum Beispiel in Deutschland nicht unbedingt so für alle Zeiten bleiben muss". Gemeint ist damit, dass die Verbreitungsgebiete aus Zeitungszeiten im digitalen Zeitalter überschritten und erweitert werden können. Für nordbayern.de heißt das, dass es entgegen der gedruckten NN oder NZ beispielsweise auch User in Bamberg und Bayreuth ansprechen soll. Der Experte hält es für eine Kuriosität, dass man "eigentlich auch mit seinen digitalen Angeboten häufig noch in den Verbreitungsgrenzen stecken bleibt, die es aus einer Print-Zeit gab". Weitere Möglichkeiten bieten sich mit Blick auf die Reichweite auch durch Fusionen und Aufkäufe.

"Ich glaube schon, dass es Massenmedien auch weiter geben wird"

Wie geht es weiter? "Ich glaube schon, dass es Massenmedien auch weiter geben wird. Wenngleich es trotzdem mehr Differenzierungen geben wird", erklärt Kaiser. Verändern wird sich trotzdem einiges. Allein die Tagesschau ist mittlerweile auf dem Netzwerk TikTok vertreten. Die Frage, die sich Medien stellen müssen ist, wie wird ein Thema gemacht. Aus welcher Perspektive wird das Thema angegangen, also der Point-of-View. Massenmedien müssen sich selber "ausdifferenzieren", so Kaiser und ergänzt, dass das schon teilweise geschieht.

Wichtig ist das, weil eben auch junge Menschen damit angesprochen werden sollen. Das Problem ist hierbei, dass die unterschiedlichen Zielgruppen, also bisherige Zeitungsleser oder Fernsehzuschauer und junge Menschen eine unterschiedliche Herangehensweise in der Aufarbeitung von Themen präferieren, sei das die Sprache, die Aufmachung, der Kanal oder der Schnitt.

Was aus Kaisers Sicht für Medienhäuser wichtig ist, diese ganzen Schritte - wie beispielsweise Augmented Reality oder künstliche Intelligenz mit Datenjournalismus kombiniert - die die Digitalisierung bietet, "zumindest mal mit anzudenken und auszuprobieren und sich nicht ablehnend dem gegenüber zu stellen." Vermieden sollten hier vor allem Fehler werden, die wie damals mit den Rubrikenanzeigen (Auto) die nicht ins Netz gebracht wurden, schon einmal geschehen sind. Genutzt hat diese Chance nämlich anderen, wie Vermittlungs- oder Vergleichsportalen wie immowelt.

Als Beispiel für die aktuelle Zeit nennt Kaiser hier automatisierte Berichterstattung wie Roboter-Journalismus, was bereits von Firmen durchgeführt wird. Wenn das nicht aufgegriffen wird, "dann macht es irgendjemand der nicht aus der Medienbranche kommt. Und damit wird der Kuchen für die traditionellen Medienhäuser schon immer kleiner." Der Experte fügt an: "Man muss mitspielen, man muss dabei sein."

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