Wenn ängstliche Polizisten selbst gefährlich werden

24.11.2014, 19:42 Uhr
Wenn ängstliche Polizisten selbst gefährlich werden

© Foto: afp

Die beiden Polizisten hätten, das sagt die Polizeiführung von Cleveland, keine andere Wahl gehabt. „Sie haben nur ihren Job getan“. Der Job: Am Samstag den zwölfjährigen Tamir Rice auf einem Spielplatz mit zwei Bauchschüssen zu töten, nachdem der junge Schwarze mit einer Druckluft-Spielpistole hantiert hatte, die nur schwer von einer echten Schusswaffe zu unterscheiden war.

Ein Beobachter hatte der Notrufzentrale mitgeteilt, es handele sich vermutlich um ein sogenanntes „toy-gun“, einen ungefährlichen Nachbau. Diese zentrale Information wurde aber den Cops nicht mitgeteilt, die sich angeblich bedroht fühlten, als Tamir zum Hosenbund griff. Ein orangefarbenes Zeichen, das die Waffe als harmlos kennzeichnen sollte, war abgekratzt worden. Auf die Idee, nur auf die Beine des Jungen zu zielen, kamen die Polizisten nicht.

Dass es sich um einen „sehr tragischen Vorfall“ handelt, der den Beteiligten leid tue — diese Worte des Bedauerns hatte am Freitag auch der New Yorker Polizeichef William Bratton in einem zweiten spektakulären Fall der Tötung eines unschuldigen Zivilisten benutzt. Denn ausgerechnet kurz vor der Bekanntgabe, ob in der Kleinstadt Ferguson in Missouri ein weißer Polizist für das Erschießen des unbewaffneten schwarzen Teenagers Michael Brown vor Gericht gestellt wird, kochen die Emotionen unter den Afro-Amerikanern wieder hoch.

Am Donnerstagabend hatte in einem Sozialwohnungsbau im New Yorker Stadtteil Brooklyn der 28-jährige Schwarze Akai Gurley das Pech, dass er mit seiner Freundin im Treppenhaus dem weißen Polizisten Peter Liang begegnete — einem Berufsanfänger, der sich bei seinem Patrouillengang in diesem Kriminalitätsschwerpunkt fürchtete und mit dem Finger am Abzug seiner Glock-Pistole unterwegs war. Als dem Jung-Cop dann im Halbdunkeln der zweifache Vater Gurley entgegenkam, feuerte er. Gurley trug weder eine Waffe noch wurde er polizeilich gesucht.

Als Unfall deklariert

Während Bratton und New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio die Tragödie als „Unfall“ einstufen, fragte Bürgerrechtler Al Sharpton: „Woher wissen wir das, ohne dass eine Untersuchung abgeschlossen wurde?“ Sharpton unterstellt damit, dass der Polizist wohl schon daher feuerte, weil er einem Schwarzen gegenüberstand.

Über Nacht tauchten in dem Gebäudekomplex, wo Gurley starb, Plakate auf. „Wir haben Liang für schuldig befunden und verlangen, dass er verhaftet und des Mordes angeklagt wird“, heißt es darauf. Doch dass es dazu kommt, gilt als ausgeschlossen. In ähnlichen Fällen kam es in der Vergangenheit nur zur zeitweisen Suspendierung — bei voller Bezahlung.

Auch in New York gibt es viele, die das nicht hinnehmen wollen. „Wir werden Ferguson hierhin bringen“, sagte Tryeek Washington von der Schwarzen-Organisation „Operation Power“ bei einem Protestmarsch, der am Samstag rund 200 Menschen vor das Polizeirevier führte, in dem Peter Liang Dienst tut.

Doch auch in Ferguson gibt es Anzeichen, dass es kein Strafverfahren gegen den weißen Cop geben wird, der Michael Brown erschoss: Zahlreiche Geschäfte und städtische Einrichtungen haben schon die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, auch Polizei und Justiz. Man fürchtet wieder schwere Krawalle und Plünderungen. Dass diese dann auf andere Teile der USA übergreifen, ist angesichts der jüngsten Schlagzeilen vorstellbar.

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