14 Jahre sind genug

20.11.2015, 17:07 Uhr

War er mutig? Zeigte er einen wie auch immer gearteten Ausweg aus der Terrorbedrohung auf? Sicher nicht. Denn Hollande hat mit seinen Worten lediglich die traurige Endlosschleife beschrieben, in der sich diese Welt spätestens seit den Anschlägen in den USA am 11. September 2001 befindet.

Seit 14 Jahren (wenn nicht schon viel länger) führen Islamisten auf der einen, Europa, die USA und ihre Verbündeten auf der anderen Seite, gegeneinander Krieg. Ein Terroranschlag irgendwo auf der Welt reiht sich an den anderen. Und jedes Mal fallen danach die Worte „Wir sind im Krieg“ — und wenig später Bomben.

Die Welt befindet sich in einer Terror- und Gewaltspirale, und die mutigen und visionären Anführer auf beiden Seiten, die in der Lage wären, dieses inzwischen mit ungeheuren Fliehkräften rotierende Gebilde zu stoppen, sind nirgendwo in Sicht.

Gefangener der markigen Worte

Einen kurzen Augenblick hätte Hollande vielleicht die Chance dazu gehabt. Am Abend der Anschläge hätte er nicht zwingend den Krieg Frankreichs gegen den Islamismus beschwören müssen, der ja sowieso schon längst tobt. Es hätte vielleicht gereicht, wenn er den Terroristen eine klare und angemessene Antwort angekündigt und sich damit alle Optionen offengehalten hätte — inklusive der militärischen. Doch Hollande ist — wie so viele terrorbetroffene Staatschefs vor ihm — jetzt der Gefangene seiner markigen Worte. Er hat einen „erbarmungslosen“ Krieg angekündigt, also muss er ihn auch führen. Alles andere wäre im französischen Wahlkampf, aus dem der rechtspopulistischer Front National als großer Gewinner hervorgehen könnte, politischer Selbstmord.

Also verhängt Hollande den Ausnahmezustand und lässt das Hauptquartier des IS im syrischen Rakka bombardieren, obwohl es dort vermutlich schon lange keine Ziele mehr von strategischem Wert gibt. 14 Jahre Anti-Terror-Krieg gehen damit in die nächste Runde.

Wer diesen irren Kreislauf aus Gewalt und Gegengewalt durchbrechen will, wird nicht umhinkommen, die Leiden der muslimischen Welt stärker als bislang wahrzunehmen. Denn die Menschen zwischen Nigeria und Pakistan erleben Tag für Tag Gräueltaten, die bei weitem das übersteigen, was in New York, Paris, Madrid oder London in den vergangenen Jahren passiert ist.

Bomben und Drohnen

Die weitaus meisten Opfer des Islamischen Staates sind Muslime. Schätzungen gehen davon aus, dass in 14 Jahren Anti-Terror-Krieg eine Million Zivilisten ums Leben gekommen sind. In Afghanistan, Irak oder Syrien werden Menschen ebenso wie im Westen von Islamisten getötet, aber auch von westlichen Bomben und Drohnen.

Doch wenn ein Selbstmordattentäter wieder mal auf einem libanesischen Marktplatz Dutzende Frauen und Kinder umbringt, wenn eine amerikanische Drohne wieder mal eine friedliche afghanische Hochzeitsgesellschaft statt das Haus eines Terrorchefs bombardiert, dann trauert im Westen niemand.

Wir haben uns damit abgefunden, dass es Terroropfer erster und zweiter Klasse auf dieser Welt gibt. Doch eine Million tote Zivilisten, das sind auch fünf, sechs oder noch mehr Millionen betroffene Angehörige. Menschen, die trauern, traumatisiert und wütend sind — und sich mit jeder neuen Attacke stärker radikalisieren.

Will Hollande, will der Westen, tatsächlich gegen sie alle immer weiter Krieg führen?