Arzt im Interview: Grippe wird oft unterschätzt

1.3.2018, 13:31 Uhr
Die Grippe geht um, und die Anzahl an Infektionen und sogar Toten steigt.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa Die Grippe geht um, und die Anzahl an Infektionen und sogar Toten steigt.

Richard Strauß lässt sich seit 20 Jahren jedes Jahr gegen Grippe impfen. Als Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie sowie stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik 1 am Erlanger Uniklinikum betreut er Patienten, die wegen einer Grippe auf die Intensivstation müssen.

Herr Strauß, wann und warum kann eine Grippe tödlich verlaufen?

Richard Strauß: Weil Grippeviren vor allem über die Atemwege aufgenommen werden, befallen sie vorzugsweise die Lunge. Das kann zu einer Lungenentzündung führen, die selbst bei Menschen ohne Vorerkrankungen tödlich verlaufen kann. Das ist selten, kommt aber vor. Außerdem kann eine Grippe dazu führen, dass sich bereits bestehende Erkrankungen wie Herzschwäche, Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, Diabetes oder chronische Lungenerkrankungen verschlechtern. Das passiert in diesem Winter wieder sehr häufig. Auch die Herzinfarktrate ist höher zu Grippezeiten.

Welche Erfahrungen machen Sie derzeit auf Ihrer Station?

Strauß: Wir sehen jetzt viele Grippepatienten, die stationär behandelt werden müssen. Ein Großteil davon mit Grunderkrankungen. Wir haben aber auch zwei Patienten, Mitte 30, die vorher gesund waren und jetzt durch die Grippe so stark erkrankt sind, dass sie künstliche beatmet werden müssen und auf der Intensivstation liegen. Der Verlauf hängt von den verschiedenen Influenza-Virenstämmen ab. Der sogenannte H1N1- Influenza-A-Stamm, der 2009 als "Schweinegrippe" bekannt wurde, hat viele jüngere Leute betroffen. Auch die Jüngeren, die wir in diesem Winter auf der Intensivstation haben, tragen einen A-Typ. Der B-Typ führt eher bei Menschen mit Vorerkrankungen und anderen Risikogruppen zu Komplikationen.

Welche Personen gehören noch zu einer Risikogruppe?

Strauß: Man weiß, dass etwa eine Schwangerschaft ein Risikofaktor für einen schwereren Grippeverlauf ist. Die gleiche Frau würde, wenn sie nicht schwanger wäre, vielleicht nur ein paar Tage von der Arbeit daheim bleiben müssen. Auch Personen, die sehr übergewichtig sind, haben ein höheres Risiko, ebenso wie Patienten während einer Tumortherapie, Menschen mit zunehmendem Lebensalter und unter Fünfjährige.

Wie kann da die Grippe-Impfung ansetzen?

Strauß: Die Impfung sorgt dafür, dass der Körper eine Abwehrreaktion vorbereiten kann. Er ist dann auf die Viren, die im Impfstoff enthalten sind, vorbereitet. Allerdings verändern sich die Grippeviren jedes Jahr. Deshalb ist eine Grippeimpfung weniger wirksam als etwa eine Masernimpfung. Wer einmal Masern hatte, bekommt sie nicht mehr, weil der Körper das Virus so gut wieder erkennt, dass er es effektiv bekämpfen kann. Grippeviren gibt es dagegen viele, derzeit kursieren zwei A- und mehrere B-Stämme, die sich innerhalb ihrer Gruppe ähneln.

Wogegen wirkt der Impfstoff?

Strauß: Der Grippe-Impfstoff ist in diesem Jahr eine Kombination aus zwei A-Bestandteilen und einem oder zwei B-Bestandteilen. Das ist in der Kritik, weil die Krankenkassen den Vierfach-Impfstoff nicht bezahlen. Die B-Viren, die im Moment überwiegend in Deutschland kursieren, sind aber dummerweise nur in dem Vierfach-Impfstoff repräsentiert.

Warum das?

Strauß: Die Impfkommission hat im vergangenen Jahr noch empfohlen, dass der dreifache Impfstoff im Durchschnitt ausreichend ist. Im November hat sie dieses Urteil aufgrund neuer Datenanalysen revidiert. Das war aber offenbar schon zu spät, um die Kassen zu motivieren, diese Kosten zu übernehmen. Das ist eine politische Entscheidung. Ich nehme aber an, dass sich die Kassen unter dem aktuellen Druck für nächstes Jahr anders positionieren. Heuer hätte der Vierfach-Impfstoff Sinn gemacht. Das weiß man aber vorher nicht.

Wie wird entschieden, welche Bestandteile der Impfstoff enthält?

Strauß: Das entscheidet die Weltgesundheitsorganisation. Sie berücksichtigt Datenanalysen in Testpraxen weltweit, sowohl aus dem vergangenen Winter auf der Nordhalbkugel als auch auf der Südhalbkugel. Daraus versucht sie zu berechnen, welche Viren sich voraussichtlich vermehren und welche nachlassen. Damit die Hersteller den Impfstoff rechtzeitig produzieren können, müssen sie jetzt schon die Zusammensetzung für den kommenden Winter festlegen. Man kann das gut, aber noch nicht sehr gut vorhersagen, so dass man auch daneben liegen kann.

Vor allem die Nebenwirkungen der Impfung stehen in der Kritik.

Strauß: An der Einstichsstelle kann der Arm schwer werden oder sich blau verfärben. Alles andere ist extrem selten. Oft ist es so, dass die Leute andere gesundheitliche Beschwerden oder Infekte, die sie sich zwischenzeitlich angesammelt haben, der Impfung zuschreiben. Dieser Eindruck hält aber den Untersuchungen nicht stand. Moderne Impfstoffe sind wirklich sehr gut verträglich.

Was empfehlen Sie?

Strauß: Ich persönlich empfehle jedem, sich impfen zu lassen. Der größte Nutzen ist für Menschen belegt, die täglich mit vielen Leuten zu tun haben und ihnen die Hände schütteln, wie etwa alle medizinischen Berufe, Pflegepersonal, Lehrer, Pförtner und Busfahrer.

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