Bamberger Astronomen entdecken galaktisches Rätsel

14.4.2016, 06:00 Uhr
Bamberger Astronomen entdecken galaktisches Rätsel

© Foto: Andrew Richard Hara

Es ist als würden Nico Rosberg und Lewis Hamilton gemeinsam durch die Milchstraße rasen. Und als würden die beiden Formel-1-Fahrer nicht gegeneinander antreten, sondern gemeinsam für die Teamwertung von Mercedes. Wissenschaftler der Uni Erlangen-Nürnberg haben ein Sternenpaar entdeckt, das mit bislang ungeahnter Geschwindigkeit in der Galaxie unterwegs ist. Zwei Millionen Kilometer pro Stunde legt "PB 3877" zurück. Ein Formel-1-Wagen bringt es gerade einmal auf 350 Kilometer pro Stunde. Maximal!

Nur etwas mehr als 20 sogenannte hyperschnelle Sterne sind bislang bekannt. Aber noch nie waren sie zu zweit unterwegs, sondern immer allein. Das gibt den Astronomen Rätsel auf. "Wir können uns keinen Mechanismus vorstellen, der ein Doppelsternsystem auf eine so hohe Geschwindigkeit beschleunigen kann, ohne es dabei zu zerstören", sagt Peter Nemeth, der die Untersuchungen an der Dr. Karl Remeis-Sternwarte in Bamberg leitet.

Eigentlich gingen Wissenschaftler davon aus, dass nur das Schwarze Loch in der Mitte der Milchstraße mit seiner enormen Anziehungskraft in der Lage ist, Sterne derart schnell werden zu lassen. Allerdings zu einem hohen Preis: Es reißt Pärchen damit auseinander. Einen Stern zieht das Schwarze Loch in sich hinein, den anderen schleudert es ins Universum hinaus.

Sterne aus anderer Galaxie

Eva Ziegerer, Doktorandin am Astronomischen Institut der Uni, hat die Flugbahn von "PB 3877" zurückverfolgt und musste feststellen: Das Sternenpaar ist auf seiner Reise nie auch nur in die Nähe des Milchstraßen-Zentrums gekommen. Das Schwarze Loch kann es nicht beschleunigt haben. Auch einen Zusammenprall mit anderen Sternen oder eine Supernova, die Explosion eines Sterns, schließen die Experten als Grund für die Geschwindigkeit aus. Ein solches Ereignis würde den Doppelstern ebenfalls trennen.

"Vielleicht kommen die Sterne aus einer anderen Galaxie", vermutet Nemeth. Um die Milchstraße herum existieren einige Zwerg-Galaxien. "Eine von ihnen könnte mit unserer verschmolzen sein, weil sie größer und stärker ist, und die schnellen Sterne sind dabei trotzdem auf ihrer Umlaufbahn geblieben." Die Doppelsterne brauchen mehrere hundert Tage, um sich gegenseitig zu umkreisen. Die genaue Umlaufzeit um ihren Schwerpunkt wollen die Wissenschaftler als nächstes herausfinden.

Für ihre Forschungen haben sie mit dem California Institut of Technology, besser bekannt als Caltech, in Pasadena zusammengearbeitet. Durch die Kooperation durften sie das Keck-Teleskopen auf dem Gipfel des 4200 Meter hohen inaktiven Vulkans "Mauna Kea" auf Hawaii benutzen. Außerdem schauten sie mit dem "Very Large Telescop" der Europäischen Südsternwarte in der Atacamawüste in Chile nach den Sternen. "Die Entdeckung ist eine Herausforderung, denn sie zeigt uns, wo die Grenzen unseres Wissens liegen", sagt der Astronom.

Die Sonne als lahme Ente

Etwa die Hälfte aller Sterne in der Milchstraße und anderen Galaxien sind Doppelsterne. Aber keines der anderen Pärchen ist so schnell. "Das ist wirklich eine merkwürdige, aber auch ganz besondere Entdeckung", sagt Astrophysiker Axel Quetz vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der die Veröffentlichung der Bamberger Kollegen gelesen hat. "Daraus lassen sich womöglich neue Rückschlüsse über die Verteilung der Masse an dunkler Materie in unserer Galaxie ziehen." Der Doppelstern zeigt schon jetzt, dass die bisherigen Theorien nicht mehr ausreichen. "Aber ein einzelnes System lässt nur wenige Rückschlüsse zu, man müsste noch mehr davon finden, das wäre toll", sagt Quetz.

Den schnellsten aller Sterne in der Milchstraße haben Astronomen der Universität Hawaii vergangenes Jahr im Sternbild Großer Bär beobachtet. "US 708" schafft sogar 4,3 Millionen Kilometer pro Stunde. Dagegen ist die Sonne eine lahme Ente: Sie umkreist das Zentrum der Galaxie nur mit rund 800.000 Kilometern pro Stunde und braucht damit für eine Runde etwa 230 Millionen Jahre.

"Viele Forscher werden sich auf die Erkenntnisse stürzen und Erklärungen suchen, warum dieser Doppelstern so schnell sein kann", sagt Quetz. Im August wird es eine Konferenz in Bamberg geben. Dabei wird nicht nur die Frage im Mittelpunkt stehen, wo das rasende Sternenpärchen herkommt, sondern auch, wo es hinwill. "PB 3877" könnte sogar schnell genug sein, um die Anziehungskraft der Milchstraße zu überwinden und sie wieder zu verlassen.

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