Bilanz: Was vom Söder-Kohnen-Duell in Nürnberg übrig bleibt

19.9.2018, 18:26 Uhr
Zwischen Markus Söder und Natascha Kohnen herrschte auf der Bühne des NN-Forums nicht immer eitel Sonnenschein - das Ende war allerdings versöhnlich.

© Anja Hinterberger Zwischen Markus Söder und Natascha Kohnen herrschte auf der Bühne des NN-Forums nicht immer eitel Sonnenschein - das Ende war allerdings versöhnlich.

Die Kontrahenten: An Abenden wie diesen bleibt wenig dem Zufall überlassen. Natascha Kohnen erscheint früh; sie hat sich bei den Taxifahrern angekündigt, spricht auf deren Kundgebung gleich vor dem Lokal. Es ist ihr Warm-up, sie stimmt sich ein auf das Zusammentreffen mit Söder. Ihr Outfit: dezent lässig, blaue Bluse, dunkle Jacke, Jeans, Stiefel.

Hier sehen Sie das Duell in kompletter Länge: 

Markus Söder hat die konservative Variante gewählt. Er kommt später als Kohnen, er geht nicht zu den Taxlern. Anders als bei den meisten seiner Wahlkampfauftritte trägt er zu blauem Jackett und schwarzer Hose einen blauen Schlips. Am Revers hat er die Knopflochrosette als Symbol für den Bayerischen Verdienstorden. Die Manschetten seines Hemdes sind allerdings wie immer offen. Söder hat das als Markenzeichen auserkoren.

Der erste Eindruck: Markus Söder ist sauer, und so verspielt er die erste halbe Stunde. Ihn ärgert, dass die NN-Chefredakteure zuerst Natascha Kohnen — Ladys first — auf die Bühne geholt und ihr die erste Frage gestellt haben. Als Alexander Jungkunz und Michael Husarek den CSU-Politiker auf die Bühne bitten, lässt der sie erst mal warten. Oben bedankt er sich, "dass ich doch noch drankomme" und sagt, er sei schon am Gehen gewesen. Der Beifall bleibt verhalten.

Bei Kohnen war das anders. Der Applaus kräftig, die Frage an sie eine, mit der Söder hätte leben können. Wie sie den Fall Maaßen beurteile? Sie könne Seehofer nicht verstehen, hat sie gesagt und erzählt, dass ihre Mutter aus Irland stamme. "Ich empfinde sie nicht als Mutter aller Probleme", sagt Kohnen. Über Söder kein Wort.

Der Applaus: Er kann Gradmesser sein dafür, ob die Redner den Nerv des Publikums treffen. Das wissen die Strategen und mobilisieren für solche Veranstaltungen ihre Leute. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Markus Söder den Lesern der NN stellt. Doch anders als sonst hat er die Lacher, den Beifall diesmal nicht auf seiner Seite. Kohnen schon. Doch sie hat den Vorteil der Neuen, der Unbekannten. Söder ist den Nürnbergern vertraut, er überrascht sie kaum noch. Kohnen dagegen gelingt das.

Die Flüchtlingsfrage: Natürlich spielt sie auch an diesem Abend eine Rolle. Natascha Kohnen ist die Erste, die das Thema anschneidet – später wird sie darauf drängen, dass man doch über die wirklich wichtigen Themen sprechen müsse. Aber erst einmal wirft sie Söder und der CSU schlechten Stil vor. Er habe "ausschließlich ein Thema durchs Land gepeitscht" – die Flüchtlingskrise. Die CSU, sagt die SPD-Politikerin, habe das Land fast in eine Staatskrise geführt. Söder antwortet, durch Europa wehe "der Geist der Spaltung"; es sei die Frage, wie die Parteien darauf reagierten. Nur die CSU habe ein Konzept entwickelt für die Flüchtlingsfrage. Bayern investiere mehr als alle anderen in die Integration. Gleichzeitig sorge es dafür, dass Asylanträge schnell bearbeitet und jene abgeschoben werden könnten, die straffällig werden oder als Gefährder gelten. Es ist sein neuer Zweiklang aus Integration einerseits und Abschiebung andererseits.

Kohnen bleibt beim Ersteren hängen; sie bringt nicht über die Lippen, was auch SPD-Anhänger denken: Dass die Kriminellen und Gefährlichen unter den Flüchtlingen im Land nicht erwünscht sind. Umgekehrt bewegt sich Söder zwar von seiner alten Position fort, aber nur einen halben Schritt. Die Idee eines Spurwechsels, den nicht nur SPD und Grüne fordern, sondern auch weite Teile der Wirtschaft und des Handwerks, lehnt er ab. Und so müssen weiter Menschen das Land verlassen, die viele Unternehmer händeringend suchen.

Die Körpersprache: Unterschiedlicher geht es kaum. Markus Söder thront breitbeinig mit seinen 194 Zentimetern hinter dem Tisch. Neben ihm wirkt Natascha Kohnen noch kleiner und zierlicher, als sie ohnehin ist. Sie macht das mit Dynamik wett. Spricht Söder, beugt sie sich vor und blickt ihn an. Redet sie, legt sie auch mal die Hand auf seinen Arm. Söder macht all das nicht. Er spricht ruhig, bedächtig. Er sieht Kohnen selten an. Hat sie das Wort, lässt er seinen Blick über das Publikum hinweg ins Unendliche schweifen, als ginge ihn das alles nichts an. Dabei ist er fokussiert, hört genau zu. Und reagiert sofort.

Die Wohnungsnot: Zum Beispiel, als Natascha Kohnen die Verfassung zitiert. Nach der müssen Kommunen und Land für Wohnraum sorgen. Es ist ihr wichtigstes Thema, die Säule ihres Wahlkampfs. Auch wenn sie sich in Details verliert, im Kern wirft sie Söder vor, dass er die halbstaatliche GBW verkauft habe. Sie beklagt, dass Bayern eine Wohnungsbaugesellschaft gründe, dass die Bayernheim aber bei null anfangen müsse.

Söder schiebt den Schwarzen Peter zurück an die Kommunen. Der Wohnungsbau sei ihre Hauptaufgabe, sagt er, der Staat könne allenfalls dabei unterstützen. Er vergleicht Nürnberg und München: Hier sei die Stadt mit Ulrich Maly wesentlich mutiger am Thema dran. München habe unter Christian Ude und Rot-Grün alles verschlafen. Er sagt, er wolle jetzt "eine gemeinsame Anstrengung aller".

Der schrägste Moment: Als die beiden Moderatoren fragen, welche drei Eigenschaften die Kontrahenten am jeweils anderen schätzen, gerät Natascha Kohnen ins Schlingern. Sie sagt, Söder habe ein Poster von Franz Josef Strauß über dem Bett gehabt, sie eins von Bob Dylan. Als Söder nachhakt, er warte auf die drei Punkte, bittet sie um eine halbe Stunde Bedenkzeit.

Söder braucht die nicht. Er schätze Kohnens Kampfgeist, sagt er, dass sie als Oberbayerin sich bei der fränkischen Fastnacht in Veitshöchheim um ein originelles Kostüm bemühe. Und dass sie "eine sehr intelligente Dame" sei. Kohnen findet dann doch noch zwei Begriffe: "Gerissen – ist das freundlich?", fragt sie. "Machtorientiert", fällt ihr noch ein. Söder wendet sich ab. Ob man nicht zur nächsten Frage übergehen könne? Man kann.


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Die AfD: Erst hat Söder um ihre Wähler geworben, jetzt geht er auf größtmögliche Distanz. In Chemnitz, sagt er, habe die AfD "ihre innere Fratze" gezeigt. Er werde gegen die Partei "in aller Konsequenz" vorgehen. Er sagt, von bösen Worten zu bösen Taten sei der Weg nicht weit. Sollte Söder auf Nachsicht bei Kohnen gehofft haben, war dies vergeblich. Kohnen gibt der CSU mit ihrer Flüchtlingspolitik die Alleinschuld am Erstarken der AfD. Das habe 2011 begonnen, als CSU-Chef Seehofer am Aschermittwoch erklärt hatte, er werde "bis zur letzten Patrone gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme" kämpfen. Kohnen dreht auf, packt die Kreuz-Debatte mit dazu – "ein Missbrauch von religiösen Symbolen", sagt, die CSU hetze mit ihrer Sprache.

Die Koalitionen: Beide wissen, dass sie sich vielleicht wieder sehen, wenn die CSU ausloten muss, mit wem sie in eine Koalition gehen könnte. Kohnen winkt ab. Sie rede nicht über "Koalitionsspielchen und Ministerposten, sondern über das tägliche Leben". Sie werde kämpfen, auch weiterhin, um jede Stimme. Das will Söder auch. Er gibt nichts auf Umfragen. Nur eines weiß er:: Mit den Grünen kann er sich eine Koalition "kaum" vorstellen. Zweimal sagt er "kaum". Es ist ein Hintertürchen.

Das Ende: Am Schluss sind beide wieder nett zueinander, verabschieden sich freundlich; es trennt sie weniger, als sie vorgeben. Kohnen fährt zurück nach München. Sie erhole sich, hat sie verraten, zu Hause, bei ihren erwachsenen Kindern. Wenn es stimmt, was Söder sagt, ist er da bereits erholt wie selten. Veranstaltungen wie das NN-Forum oder Bierzeltauftritte, das sei für ihn "eine Form der Entspannung". Sein Anfangsärger jedenfalls ist verflogen.

 

 

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