Der Greta-Effekt: Werden die Umwelt-Aktionen Bestand haben?

8.2.2019, 08:00 Uhr
Der Greta-Effekt: Werden die Umwelt-Aktionen Bestand haben?

© Eduard Weigert

Neben der Klimaschutz-Ikone Greta stehen höchstens drei Dutzend Mitstreiter im Schnee von Stockholm. Die langen Mädchenzöpfe, die in Porträts so oft beschrieben wurden, sind unter einer doppelten Lage Wollmützen und einem Schal verborgen.

Greta Thunberg, 16 Jahre alt und der aktuelle Star in einer Reihe junger Polit-Aktivisten, steht wieder vor dem Parlament. Es ist Freitag – ihr Tag. Sie will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonferenz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtschaftsforum nach Davos eingeladen.

Im August, nachdem der Dürre-Sommer auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Inzwischen schwänzen nach ihrem Vorbild international Tausende Mädchen und Jungen die Schule und gehen bei Großdemos für die Umwelt auf die Straße. Die verbindenden Losungen lauten #FridaysForFuture (Freitage für die Zukunft) und #YouthForClimate (Jugend fürs Klima).

Gretas Aktion zwischen Reichstag und dem klotzförmigen Schloss der schwedischen Hauptstadt wirkt an diesem Wintertag eher mini. Besonders im Vergleich zu den Demos in anderen Ländern Europas. Selbst in deutschen Kleinstädten kommen inzwischen mehr junge Leute zu Schulstreiks fürs Klima zusammen als hier, wo alles anfing.

Ikone mit leiser Stimme

"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum das gerade unter Jugendlichen in Belgien, Deutschland, Australien und Kanada so groß geworden ist", sagt die 16-Jährige, die kaum über 1,50 Meter groß ist. Sie spricht leise und sieht noch jünger aus, als sie ist. "In Schweden ist es nicht so groß geworden, das ist seltsam."

Greta Thunberg ist in weniger als einem halben Jahr zur Vorreiterin geworden. Doch von was eigentlich? Von einer neuen weltweiten Jugendbewegung? Sie gilt als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßenen Demonstrationen gar, wie die Zeit andeutet, in eine "globale gesellschaftliche Bewegung" münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht?

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© Gian Ehrenzeller/dpa

Fakt ist, dass verschiedene junge Menschen gerade sehr schnell zu politischen Symbolfiguren wurden. In den USA etwa erhob Emma González 2018 spektakulär ihre Stimme gegen Politiker und die einflussreiche Waffenlobby. Sie und andere junge Menschen initiierten nach dem Schulmassaker von Parkland (Florida) vom Februar Massenproteste.

Manche Jung-Aktivisten sind bereits weit gekommen: Die pakistanische Kinderrechtsvorkämpferin Malala Yousafzai erhielt schon mit 17 den Friedensnobelpreis. Heute, 21 Jahre alt, engagiert sie sich bei den Vereinten Nationen. Oder der Deutsche Felix Finkbeiner, 21 und bekannt für die Organisation Plant-for-the-Planet. Seit über zehn Jahren wirbt er dafür, Bäume für den Klimaschutz zu pflanzen. Auch er tourt im Namen der UN. Bei Fridays For Future wiederum gilt hierzulande Luisa Neubauer als eine der vordersten Aktivistinnen.

"Es gibt eine politische Mobilisierung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkenswert", stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. "Das haben eigene Studien und die Auswertungen der regelmäßig stattfindenden Allbus-Erhebungen ergeben, die alle zwei Jahre gemacht werden." Allerdings sei das wachsende Politik-Interesse auch bei Erwachsenen zu beobachten, sagt die Sozialforscherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung.

Protest als Happening

"Auch früher haben junge Leute schon protestiert, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterben oder AKWs", ordnet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt, ein. "Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktiver, als zur Schule zu gehen", sagt er. "Nichtsdestotrotz haben wir jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor."

Ähnliches stellte die Autorin Susan Schädlich aus Frankfurt am Main fest. Bei Buchrecherchen ("Fragen an Europa") sprach sie mit dem Nachwuchs. Es gehe heute längst nicht nur um Umweltthemen: "Als 2015/16 viele Flüchtende nach Europa und Deutschland kamen, haben junge Leute nicht nur mitdiskutiert, viele haben auch mit angepackt. Die Wahl Donald Trumps in den USA Ende 2016 hat viele erschüttert", berichtet sie. Das Thema Brexit bewege Mädchen und Jungen ebenfalls: "Das betrifft pragmatische Fragen wie: "Kann ich noch problemlos in Großbritannien studieren?" Aber es geht auch ums Grundsätzliche: Der Brexit und die Frage, wie Europa mit flüchtenden Menschen umgeht, haben das Ding, das EU heißt, wieder in die Köpfe der jungen Leute zurückgebracht", meint sie.

Doch wie entsteht auf der Basis von Politik-Interesse eine Vorreiterin? Was macht den Greta-Effekt aus? Sicher gehören klare Aussagen und persönliche Betroffenheit dazu: In Kattowitz 2018 und Anfang 2019 in der Schweiz, erklärte sie der Welt die Dringlichkeit der Klimakrise. Zum anderen nutzt die junge Schwedin ein Werkzeug, das frühere Generationen nicht hatten: das Internet. Die 16-Jährige weiß, dass sie mit ihrem Protest in den sozialen Netzwerken Ländergrenzen spielend überspringt. Auf Twitter folgen ihr knapp 160 000 Menschen, auf Instagram mehr als 250 000.

Während ihrer freitäglichen Demo müssen die sozialen Medien ein paar Stunden ruhen. Später postet sie fleißig Eindrücke von Protesten aus aller Welt. Die Schülerin schreibt und teilt unentwegt. Über das Netz fühlt sie sich mit anderen Aktivisten verbunden. Thunbergs Twitter-Account kann man auch so lesen: Jugendliche schließen sich über die Kontinente hinweg online zusammen und streiken, von Europa bis Australien. Einen gemeinsamen Protestort braucht es nicht.

Auf ihre Vorbildrolle angesprochen, zuckt Greta Thunberg, die Nachfahrin eines Chemienobelpreisträgers, mit den Schultern. Vorbilder, sagt sie, sind andere für sie. "Meistens sind das Leute, die zu mir kommen und sagen, dass sie zum Beispiel aufgehört haben, zu fliegen. Die zu Veganern geworden sind wegen des Klimas und so etwas. Das müssen keine berühmten Menschen sein."

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© Andrew Harnik/AP/dpa

Berühmt ist Sarah Hadj Ammar, Studentin der Biomedizin im ersten Semester, nicht. Aber aktiv: zum Beispiel seit acht Jahren bei Plant-for-the-Planet. Und seit der Gründung 2018 im Jugendrat der Generationen Stiftung, die sich als überparteiliche Interessenvertretung künftiger Generationen versteht. Die 19-Jährige aus Würzburg ist nach Berlin gekommen, um an diesem Januar-Freitag vor dem Kanzleramt zu demonstrieren: gegen die Kohle und für den Stopp der Erderwärmung.

"Ihr verheizt unsere Zukunft"

Vor dem Plakat mit der Aufschrift "Ihr verheizt unsere Zukunft" haben die jungen Leute eine Grillschale aufgebaut. Darüber hängen sie eine menschliche Puppe. Als der Zug der Schülerdemo, die parallel läuft, anmarschiert kommt, zünden sie das Feuer an. "Wir hatten eine Menge Spaß", sagt die Studentin hinterher. Aber: "Wenn ich an unsere Zukunft denke, dann habe ich Angst."

Mit dem Jugendrat trifft sie sich alle ein, zwei Monate. "Ich genieße es sehr, dass wir nicht so gebunden sind im Jugendrat wie in einer Partei in dem, was wir machen und sagen wollen", erzählt sie. "Wir sind kreativer und können schneller reagieren."

Grundsätzlich spürt auch Sarah Hadj Ammar so etwas wie einen Aufbruch: "In den vergangenen ein bis zwei Jahren hat sich etwas verändert an der Stimmung unter jungen Leuten." Und ergänzt: "Das viele noch zu jung zum Wählen sind, heißt nicht, dass sie keine Meinungen haben und keine Hoffnungen." Sie durfte bisher einmal zur Wahl. Doch: "Es gibt keine Partei, die mir 100-prozentig zusagt." Nähe, Loyalität und Bindung empfindet sie dagegen zu Altersgenossen – egal, wo sie leben. Für Plant-for-the-Planet war sie zehn Wochen in Mexiko. Sie hat dort Freunde. "Ich lebe mit dem Gefühl, dass es ein globales Bewusstsein gibt und Verbindungen zu weit entfernten Menschen. Das gibt mir noch mehr Motivation."

Diesen Punkt stellen auch Experten heraus: "Die jungen Leute, die sich jetzt besonders einsetzen, ob aus den USA, Spanien, England oder Deutschland, sind sehr gut miteinander vergleichbar. Entsprechend sind die Unterschiede innerhalb der Länder größer als zwischen den Ländern", befindet Ulrich Reinhardt.

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© Petra Kaminsky/dpa

Dass junge Vorreiter Mut und einen langen Atem brauchen, weiß auch der Niederländer Boyan Slat. Er hat als Plastik-Sammler weltweit für Furore gesorgt. Seit er als Schüler beim Tauchen in Griechenland von einer großen Menge Plastik im Wasser erschreckt wurde, lässt ihn dieses Umweltthema nicht los. Zu Hause entwarf er als Projekt für die Schule einen Apparat, um den Müll abzufischen. Heute ist der 24-Jährige der Gründer des Unternehmens The Ocean Cleanup. Mit einer langen Röhre in U-Form will er den Plastikmüll im Pazifik einsammeln. Nach dem Start aus der Bucht von San Francisco gab es allerdings Probleme und zum Jahreswechsel ein vorläufiges Aus für den Müllfänger. Er wird nun an Land technisch angepasst.

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© Annette Birschel/dpa

Aufgeben ist keine Option

Trotzdem gibt Boyan Slat nicht auf: Wenn ihm jemand sagt, etwas ist unmöglich, dann werde er misstrauisch. "Die Geschichte ist voller Dinge, die einmal als unmöglich galten und dann doch getan wurden." Dann sagt er etwas, was zeigt, dass neue Umweltaktivisten nicht einfach zurück zur Natur wollen, sondern Technik positiv sehen: "Ich hoffe, dass The Ocean Cleanup in diesem Jahrhundert ein Symbol dafür wird, dass mit Technologie tatsächlich etwas verbessert wird."

Dass Großaktionen nicht schnellen Erfolg bedeuten, mussten auch Teilnehmer der Anti-Waffen-Proteste in den USA 2018 erleben. Um ihre Organisation March For Our Lives ist es ein Jahr nach der Gewalttat stiller geworden. Das berichtet unter anderem der Jung-Aktivist Anand Chitnis (15) aus Rockville (US-Bundesstaat Maryland): "Leider ist der Schwung hinter der Bewegung March For Our Lives definitiv abgeklungen", sagt er. Doch im US-Parlament sehe er einen Wandel. Zudem glaubt er an eine Tiefenwirkung: Die jungen Leute hätten eine Einführung in die Politik bekommen. Jetzt suchten sie nach Feldern, die sie besonders berührten.

Dies ist eine Sicht, die Claudia Langer, Vorstand der Generationen Stiftung in Berlin, teilt: "Es mag sein, dass die erste Welle der Proteste vorübergeht. Aber das ist aus meiner Sicht irrelevant, weil sich bereits etwas in unsere Köpfe gebrannt hat. Die Proteste von Parkland kann ich bei meinen Gesprächspartnern abrufen. Und wir alle werden noch in fünf Jahren wissen, wer Greta Thunberg ist."

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