Die Utopie vom sinkenden Strompreis

4.10.2010, 22:58 Uhr
Die Utopie vom sinkenden Strompreis

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Die Botschaft der Bundesregierung an die Verbraucher ist simpel: Dank des schwarz-gelben Energiekonzepts mit Atomkraft werde Strom in den nächsten Jahrzehnten sicher, bezahlbar und klimaschonend sein. Doch ganz so einfach ist es nicht. Auf absehbare Zeit werden die Bürger mehr Geld ausgeben müssen, wenn der Plasma-Fernseher, die Mikrowelle oder der Trockner am Netz hängen. Im ersten Halbjahr 2010 kannte der Strompreis nach am Montag veröffentlichten Zahlen nur eine Richtung: nach oben. Der Aufschlag betrug 2,1 Prozent. Dass sich daran etwas ändern wird, glaubt selbst Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hatakka nicht. „Momentan rechne ich eher mit steigenden Preisen.“

Das hänge auch mit der Förderung der erneuerbaren Energien zusammen, die jeder Kunde monatlich über den Strompreis bezahlt. Hier müsse die Politik den Bürgern reinen Wein einschenken. „Ich würde mir aber wünschen, dass die Politik nicht verschweigt, dass Klimaschutz seinen Preis hat. Den gibt’s nicht zum Nulltarif“, verdeutlicht der Europa-Chef des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall, der in Deutschland Kohle- und Atomkraftwerke betreibt. Führende Manager sagen hinter vorgehaltener Hand, irgendwann sei wohl die Schmerzgrenze der Verbraucher beim Ökoenergie-Ausbau erreicht. Verschwiegen wird aber gerne, dass auch die Atomindustrie laut Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft von 1950 bis 2008 staatliche Förderungen in Höhe von 164,7 Milliarden Euro erhalten hat.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) macht den Ökostrom-Ausbau für den Preisschub mitverantwortlich. Gehen immer mehr Windräder und Solaranlagen ans Netz, steigt auch die Öko- Umlage beim Strompreis — von derzeit zwei Cent auf etwa 3,5 Cent je Kilowattstunde im nächsten Jahr. Ein Durchschnittshaushalt mit drei Personen zahlt aktuell für seine Stromrechnung 69 Euro im Monat. Der Staat kassiert über Steuern und Abgaben etwa 40 Prozent des Endpreises. Der Preis orientiert sich am teuersten Kraftwerk. Dazu kommen die Ausgaben für den Transport durch die Leitungen und Geld für CO2-Zertifikate, die an der Leipziger Strombörse gehandelt werden. Experten und die Grünen betonen, dass der BDEW zu einseitig die Verantwortung auf die erneuerbaren Energien abwälze. „Seit dem Jahr 2008 sind die Großhandelspreise für Strom um 30 bis 40 Prozent abgesackt, das wird nicht an die Kunden weitergegeben“, klagt Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn.

Kommunen warnen

Gerade die kommunalen Versorger warnten, dass die Preise vor allem deshalb weiter steigen dürften, weil durch das Laufzeitplus bei Atom die Marktmacht von E.on, EnBW, RWE und Vattenfall zementiert werde. „Die erneuerbaren Energien werden immer mehr als unrechtmäßiger Erhöhungsgrund missbraucht“, sagt Höhn. Nach Angaben des unabhängigen Verbraucherportals toptarif.de erhöhte in diesem Jahr bereits mehr als die Hälfte der rund 900 Stromversorger in Deutschland ihre Preise um durchschnittlich sechs Prozent mit Verweis auf die zum Jahreswechsel gestiegene EEG-Umlage — darunter auch Branchengrößen wie Vattenfall, RWE und fünf der sieben E.on-Regionaltöchter.

Der Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien, Jörg Mayer, rät zu einer differenzierten Betrachtung. „Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Der Umbau unserer Energieversorgung kostet Geld.“ Aber jeder in die Ökostrombranche investierte Euro bringe einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen. Außerdem betrage der Anteil erneuerbarer Energien am statistischen Warenkorb schließlich nur 0,2 Prozent.