Ein wenig Hoffnung im Elend: Nürnberger kümmern sich um Rohingya

16.11.2018, 11:35 Uhr
Sie brauchen Hilfe: Das Schicksal der Rohingya ist eines, das bewegt.

© AFP Sie brauchen Hilfe: Das Schicksal der Rohingya ist eines, das bewegt.

Eine holprige Piste nach Kutupalong zweigt von der palmengesäumten Staatsstraße ab. Der Weg führt nach Osten, in der Ferne ragen die burmesischen Gebirgsketten empor. Militär allerorten: Checkpoints, Stacheldraht, Lkw-Konvois. Die Grenze zu Myanmar ist nah, das Verhältnis beider Staaten am Tiefpunkt.

Im August vergangenen Jahres zog ein Treck Hunderttausender über die grüne Grenze, zerlumpt, erschöpft; Männer und Frauen mit Schuss- und Stichwunden, orientierungslose Alte, wehklagende Frauen, Kinder auf der verzweifelten Suche nach ihren Eltern und Geschwistern. Die Menschen gehören zum Volk der Rohingya, einer muslimischen Volksgruppe, die seit Jahrhunderten im burmesisch-bengalischen Grenzgebiet siedelt und immer wieder Opfer der entfesselten Armee Myanmars wurden. Im August 2017 entkamen 800 000 Rohingya nur knapp einer neuen Welle von Brandschatzung, Mord, Vergewaltigung.

Der Nachwuchs lernt in "Kinderschutzzonen"

14 Monate später: Elendshütten, gefertigt aus nichts als Bambus und Plastikplanen, durchziehen die hügelige Landschaft bis zum Horizont. Fließendes Wasser? Fehlanzeige. Dafür regenmatschige, improvisierte Wege. Auf einem der Hügel: eine kleine weiße Fahne mit dem Logo der örtlichen Caritas. Daneben drei Bambushütten, bedeckt mit Planen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.

"Die Regierung erlaubt keine festen Häuser", erklärt Francis Dores, ein bengalischer Jesuit. Gemeinsam mit der Caritas engagiert sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) für menschenwürdige Zustände in den Lagern. Denn geht es nach den bengalischen Behörden, sollen die Rohingya so schnell wie möglich wieder zurück über die Grenze wandern. Daher dürfen zwei der Hütten auch nicht "Schule" heißen: Jeweils 20 Kinder, eine Jungen- und eine Mädchengruppe, sitzen mit ihren bengalischen Lehrerinnen auf Kunststoffteppichen in zwei "Child Friendly Spaces" (CFS) – Kinderschutzzonen.

"In den Familien wird oft den ganzen Tag geschwiegen" 

Bei den Jungs ist eine Diskussion im Gang: Murshed (16) und Dilmahad (15) erörtern vor ihren Kameraden die Notwendigkeit von sauberem Wasser: "Wir müssen den anderen sagen, dass sie nicht in den Regenwassergruben baden dürfen", sagt Murshed. Dilmahad nickt und berichtet von Nachbarn, die sich im Brackwasser schlimme Infektionen zugezogen haben. Chamelee, eine der jungen Mitarbeiterinnen im Team der Caritas und ausgebildete Grundschullehrerin, erklärt: "Diese Art von angeleiteten Diskussionen in der Gruppe ist sehr wichtig für die Kinder." Nicht nur, weil essenzielle Themen erörtert werden, sondern allein, um ein soziales Gefüge zu schaffen: "Die Kommunikation hilft den Kindern, die Gewalterfahrungen zu vergessen. In den Familien wird oft den ganzen Tag geschwiegen."

Obschon sie offiziell keine Schulen sein dürfen, wird in den Kinderschutzzonen aber nicht nur diskutiert, gespielt und gezeichnet, sondern auch gelernt: neben Englisch hauptsächlich burmesisch, nicht aber bengalisch, das für die Rohingya mit ihrem eigenen, nicht verschriftlichten Dialekt ebenso eine Fremdsprache ist. "Auch diese Regelung hat die Regierung aufgesetzt, um eine möglichst schnelle Rückführung nach Myanmar zu ermöglichen", erläutert Francis: "Die Rohingya sollen nicht in Bangladesch bleiben." Um die Infrastruktur in den bestehenden Lagern aber kümmern sich ausschließlich nichtstaatliche Hilfsorganisationen.

Neben der Versorgung mit lebensnotwendigen Gegenständen wie Gaskartuschen haben JRS und Caritas unter dem Stichwort MHPSS (Mental Health Psycho-Social Support) Kinderschutzzonen und Projekte für Frauen etabliert. Derzeit werden in sechs CFS gut 1800 Kinder in verschiedenen Gruppen jeweils zwei Mal wöchentlich betreut, fünf weitere CFS sind in Planung.

Jung, multireligiös, hochmotiviert und weiblich 

Das Team der bengalischen Caritas ist jung, multireligiös, hochmotiviert und in der Mehrzahl weiblich: Bei ihren Trainingseinheiten in der Provinzhauptstadt Cox’s Bazar erörtern sie Themen wie Kinder- und Frauenrechte, Interventionsstrategien gegen häusliche Gewalt und die allgemeine Perspektivlosigkeit der Rohingya, von denen die meisten zum Nichtstun verdammt sind. Sinnstiftend sind für einige kleine Jobs im Lager: etwa für die 40-jährige Nurbahar, die den bengalischen Lehrerinnen zur Seite steht: "Kurz nachdem ich angefangen habe, ist mein Mann zu mir zurückgekehrt", berichtet sie.

Millionensiedlung ohne geordnete Struktur

Ein Trend zur Vielehe und kaputte Familienstrukturen belasten das soziale Gefüge in den Camps, sagt Francis. Ein weiteres Beispiel für Hoffnung im Elend ist Nazir Amad. Der Vater von sechs Kindern hat einen Job als Nachtwächter angetreten und berichtet stolz vom persönlichen Fortschritt: "Ich helfe, das Leben im Lager sicherer zu machen."

Zwangsprostitution und Kriminalität sind ein Thema in der Millionen-Siedlung ohne jede staatliche Struktur. Das Sagen haben Imame und die Majhis, Anführer, die von der konservativ-islamischen Community in undurchsichtigen Verfahren eingesetzt werden. Um das Leben in den Camps vor allem für die Frauen und Kinder zu verbessern, haben JRS und Caritas ein weiteres Projekt durchgesetzt: 300 Solarlaternen an den Wegesrändern, vor Brunnen und Toiletten. Es sei friedlicher geworden und sicherer, sagen die Teilnehmerinnern eines der Frauenprojekte. Und allein, dass sie in der Runde zusammenkommen, ist ein Riesenfortschritt, betont Stan Fernandes, Leiter des JRS Südasien: "Der Tradition gemäß würden sie allein niemals die eigene Hütte verlassen. Erst als die Männer erkannt haben, dass ihre Frauen in den Gruppen so viel Nützliches für die Familien erarbeiten, gaben auch die Majhis den Projekten ihren Segen."

"Die Zeichnungen sind ein Spiegel der Seele" 

In der CFS-Gruppe der Kleinsten, der Vier- bis Sechsjährigen, ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft am spürbarsten: Rajia sitzt vor einem Blatt Papier, darauf hat sie ein Haus gezeichnet, keine Hütte aus Plastik und Bambus, sondern ein richtiges Haus mit Dach, Tür und Fenstern. "Die Zeichnungen sind ein Spiegel der Seele der Kinder", sagt Collins, ein junger bengalischer Katholik, der nach seinem Wirtschaftsstudium Teil des Caritas-Teams wurde. Während die Kinder in den ersten Monaten Darstellungen von Waffen, Tod und Gewalt zu Papier brachten und so Erlebnisse verarbeiteten, haben sich die Motive mit der Zeit stark verändert: Blumen, bunte Muster – oder eben ein wunderschönes Haus. Vielleicht wird Rajia selbst niemals in so einem Haus leben, aber sie weiß, dass es ein Leben jenseits von Flucht und Vertreibung gibt.

Von Nürnberg aus unterstützt die Jesuitenmission Deutschland die Arbeit von Caritas und JRS, hier finden Sie weitere Infos!

Auch für Spenden ist die Jesuitenmission dankbar: Jesuitenmission, Verwendungszweck: X33500 Rohingya, Bank: Liga Bank, IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 BIC: GENODEF1 M05

Zum Hintergrund: 

Die Hunderttausenden Flüchtlinge in Bangladesch hätten große Angst vor einer erzwungenen Rückkehr, da für sie in ihrer Heimat akute Lebensgefahr herrsche, heißt es in einer Mitteilung von 42 Organisationen, die sich für die Rohingya einsetzen – darunter die Welthungerhilfe, Save the Children, World Vision und Oxfam.

Die Rückführung war bereits vor einem Jahr zwischen den asiatischen Nachbarländern vereinbart worden. Ende Oktober kündigten beide Regierungen an, die Rückführung werde Mitte November beginnen.

Völkermord und ethnische Säuberung 

Im August 2017 hatte die Armee von Myanmar mit der gewaltsamen Vertreibung von knapp 800 000 Rohingya nach Bangladesch begonnen. Die Vereinten Nationen werfen dem Militär Völkermord und ethnische Säuberung vor.

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